untitled-Newsletter 21

Nov 01, 2025 7:19 pm

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Hallo werte Leserschaft,


wenn euch dieser Newsletter erreicht, dann wird bei zines.fm die Podcast-Folge mit mir über meine untitled-Zines und diesen Newsletter erschienen sein: zines.fm #18: Über Zines als Reihe (mit Arne). Wenn ihr neugierig darauf seid, wie das hier alles entstanden ist, dann hört mal in die Folge rein!


Fragmente

Willkommen im Zeitalter der Zwiebelfische! Früher sah man sie eher selten, aber jetzt sind sie überall! Vor allem in Videos auf Social Media. Zwiebelfische! Überall Zwiebelfische! Jeden Tag Zwiebelfische!


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›Zwiebelfisch‹ ist ein typografischer Fachbegriff, der den Fehler beschreibt, wenn sich ein Buchstabe aus einer anderen Schriftart in ein Wort eingeschlichen hat. Früher kam das eher selten vor, zum Beispiel wenn ein Schriftsetzer einen Buchstaben einer Schriftart in den falschen Setzkasten einsortiert oder aus dem falschen Kasten gegriffen hat. Im Zeitalter des digitalen Schriftsatzes kam das bisher noch seltener vor, da man ja keine Buchstaben mehr einzeln setzen muss. Sie können sich aber einschleichen, wenn die verwendete Schriftart nicht alle Buchstaben hat, wenn bspw. die deutschen Umlaute fehlen. Professionelle Design-Software ersetzen den fehlenden Glyphen bzw. Buchstaben durch ein leeres Quadrat – gerne auch ›Tofu‹ genannt – und markieren diesen Fehler deutlich. Andere Programme, wie Canva oder Tools für automatische Untertitel, gehen aber nicht so brachial vor, sondern ersetzten einfach die fehlenden Buchstaben durch eine andere (Standard-)Schriftart, in der die Glyphen vorkommen. Und mit der Verbreitung dieser Tools sind sie jetzt überall: Zwiebelfische!


Mein liebster Zwiebelfisch bisher hing übrigens an einem Imbiss in Wuppertal:


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Anfang letzter Woche gab es einen großen Ausfall beim Cloud-Anbieter AWS, der dazu führte, dass viele Cloud-Dienste und Apps wie Snapchat, Fortnite, Alexa, Signal oder Slack nicht verfügbar waren. AWS steht für Amazon Web Services und ist einer der größten Cloud-Computing-Anbieter der Welt und ist eine der Cashcows von Amazon. In den letzten fünf Jahren habe ich fast täglich mit AWS gearbeitet und habe mit großem Interesse die ausführliche Analyse zum Ausfall von AWS gelesen. Kurz: Was wie ein Ausfall aussah, war tatsächlich ein großer »Domino Day« in der Region »us-east-1« (aka. »North Virginia«). AWS betreibt weltweite hunderte Rechenzentren, die sie in Regionen aufteilen, wodurch sie Rechen-Kapazitäten weltweit verteilen und auch lokalen Gesetzgebungen entsprechen können. In Frankfurt am Main betreibst AWS bspw. zwei Rechenzentren die zur Region »eu-central-1« zusammengefasst sind und mit denen auch Cloud-Dienste Datenschutzkonform nach DSGVO bzw. GDPR auf AWS betrieben werden können. Die Region »us-east-1« ist dabei die Heimat bzw. das Mutterschiff von AWS. Wenn man mit AWS startet, startet man automatisch in der Region »us-east-1«; wenn man seine Dienste in anderen Regionen betreiben möchte, wie eben in Frankfurt a. M., dann muss man das explizit auswählen. Zudem gibt es Dienste wie AWS Route53 oder AWS CloudFront die nur in dieser Region verfügbar sind. Also, wenn es einen Ausfall in der Region »us-east-1« gibt ist das schlecht – sehr schlecht. Nicht nur, weil eben viele US-Firmen ihre Dienste dort laufen lassen, sondern weil es den Gesamtbetrieb von AWS stören kann. Und so gab es wohl auch das Problem, dass man sich nicht mehr bei AWS einloggen konnte, auch wenn man seine Dienste nicht in »us-east-1« betrieb.


Die Ursache des Ausfalls liegt in einem einfachen Problem, das aber schwer in den Griff zu kriegen ist: eine sogenannte »Race Condition«. Bei diesem Problem wird ein Programm oder eine Funktion zu früh ausgeführt, bevor ein anderes Programm bzw. Funktion fertig ist, wodurch dann z. B. fehlerhafte Daten in der Ausführung verwendet werden. In diesem Fall wurden die Netzwerk-Adressen des Datenbank-Diensts AWS DynamoDB überschrieben, weil ein Programm ungewöhnlich lang bei der Aktualisierung brauchte, was dazu führte, dass die Netzwerk-Adressen der Datenbanken komplett gelöscht wurden und die Datenbanken somit nicht mehr erreichbar waren. Das Problem konnte AWS aber relativ zügig beheben.

Da AWS aber von Amazon gegründet wurde, um ihre Infrastruktur und Dienste, die sie für ihren eigenen Webshop weltweit aufgebaut hatten, auch für andere zur Verfügung zu stellen, greift bei ihnen ein Prinzip, dass im Englischen die plastische Bezeichnung »Eat Your Own Dog Food« trägt: Man nutzt als Firma seine eigenen Produkte und Dienste, statt auf eingekaufte Produkte zu setzen. Und so ist der Datenbank-Dienst AWS DynamoDB auch integraler Bestandteil von anderen AWS-Diensten, sodass dessen Ausfall auch weitere AWS-Dienste nach und nach in den Abgrund zog: Ein Dienst, der die physischen Server überwachst, konnte den Status der Server nicht mehr in der Datenbank speichern, woraufhin der Dienst stückweise ausfiel, der ein Herzstück von AWS ist: AWS EC2. Mit AWS EC2 können Server und Rechen-Kapazitäten gemietet werden, auf denen Websites und andere Programme laufen. Nachdem das Problem behoben worden war und die Server wieder liefen, schlug der Fehler auf die nächste Ebene durch: Da die EC2-Server länger nicht erreichbar waren haben sich bei den Network Load Balancern viele Änderungen angesammelt, die automatisch abgearbeitet werden wollten. Network Load Balancer sind spezielle Server, die dafür sorgen, dass Anfragen gleichmäßig auf mehrere Server verteilt werden oder Server nach Bedarf an- und abgeschaltet werden; das ist besonders nützlich, wenn man nicht dauerhaft die gleiche Leistung braucht oder Lastspitzen erwartet, wie etwa bei Konzertticket-Verkäufen. Und so kam es zur nächsten Welle von Ausfällen, weil zum einen veraltete und somit fehlerhafte Konfigurationen auf Server gespielt wurden und sich zum anderen ein solch lange Liste an Änderungen aufgestaut hatte, dass die Network Load Balancer ausfielen.


Dieser Ausfall hat schon etwas von einem Schmetterlingseffekt: Der Flügelschlag eines Schmetterlings sorgt durch sich bedingende Systeme am anderen Ende der Welt für einen Sturm. Oder eben: Ein unerwartet langsam laufendes Programm führt in einem hoch komplexen und automatisierten System dazu, dass »smarte« Matratzen in unbequemen Positionen verharren, Katzenklos sich nicht mehr per App steuern lassen oder »smarte« Glühbirnen dunkel bleiben.


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Vor über einem Jahr habe ich beschlossen meiner bisherigen Notiz-App Evernote den Rücken zukehren und zur Notiz-App Bear zu wechseln: Über 10.000 Notizen und über 10 Jahre gesammeltes Material mussten umgezogen werden. Diesen Prozess habe ich u. a. hier, immer, wieder, dokumentiert. Nun stand diesen Monat wieder die Abo-Verlängerung von Evernote an und somit war es also allerhöchste Zeit die »letzten« 8.500 Notizen zu exportieren und das Abo zu kündigen. Bisher habe ich das manuell über die Evernote-App gemacht und die Notizen dann einzeln in Bear importiert und aufgearbeitet. Dieser Weg war angesichts der kurzen Zeit und der Masse an Notizen nicht mehr gangbar und über die Evernote-App selbst lassen sich maximal 100 Notizen gleichzeitig exportieren. Über 8.500 Notizen in 100er Schritten händisch zu exportieren und zu löschen kam nicht in Frage – viel zu aufwendig und vor allem fehleranfällig, zumal bei einem Programm, das auf einem etwas älteren Rechner nur sehr lahm läuft. Zum Glück gibt es aber mittlerweile eine Vielzahl an kleinen Tools, die einem dabei helfen sollen und nach ein bisschen ausprobieren bin ich bei evernote-backup gelandet: Mit diesem Kommandozeilen-Tool lassen sich alle Notizbücher und Notizen aus Evernote auf einen Schlag exportieren. Standardmäßig exportiert das Tool alle Notizen eines Notizbuches in eine Datei, da ich aber die Notizen weiterhin einzeln in Bear importieren und aufarbeiten möchte, war ich zunächst etwas frustriert, aber es gibt einen etwas versteckten Befehl, mit dem jede Notiz in eine einzelne Datei exportiert wird:


evernote-backup export --single-notes


Zack. Damit habe ich einen Ordner mit einzelnen Dateien, aus dem ich nach und nach die Notizen in die neue Struktur in Bear importieren kann.


Und alle lebten glücklich bis an das Ende ihrer Tage … Nein, so einfach ist es leider nicht. Denn auch in der Benutzung von Bear habe ich im vergangenem Jahr einiges gelernt, vor allem über Tags, die es bei Bear als einziges Struktur-Mittel für Notizen gibt. Notizbücher, in denen Notizen in Evernote liegen, gibt es gar nicht in Bear, aber man kann Tags so benennen, dass sie wie Notizbücher funktionieren. Kurz nachdem ich also Evernote geleert hatte, war ich mit meiner bisherigen Struktur in Bear so unzufrieden und genervt von meinen »Anfänger-Fehlern«, dass ich kurzentschlossen alle Notizen aus Bear exportiert und mit einer leeren App neu gestartet habe.

Im letzten halben Jahr habe ich zudem mit Obsidian experimentiert und darin eine Art (Arbeits-)Tagebuch geführt. Mit meinem Neustart habe ich das nun auch in Bear integriert, da ich nach wie vor leider nicht mit Obsidian als Notiz-App warm werde.


Und so baue ich Bear langsam wieder zu meinem Jardin Intérieur auf – Stück für Stück, Notiz für Notiz, anhand der Dinge, die mich gerade beschäftigten.


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Für ein Projekt beschäftige ich mich gerade mit der Genese und Ideengeschichte des Begriffs ›Wachstum‹ und lese dafür »Die Grenzen des Wachstums« von 1972. In der Einführung steht jener denkwürdige Satz:


Es zeigt sich gegenwärtig wachsende Besorgnis, daß die meisten persönlichen Ziele und nationalen Anstrengungen schließlich durch langfristige Trends auf globaler Basis, wie sie U Thant erwähnte, vereitelt werden können.


U Thant, der damalige UN-Generalsekretär, wird zu Beginn des Buches wie folgt zitiert:


Ich will die Zustände nicht dramatisieren. Aber nach den Informationen, die mir als Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen, haben nach meiner Schätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit zu beginnen, um das Wettrüsten zu stoppen, den menschlichen Lebensraum zu verbessern, die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten und den notwenigen Impuls zur Entwicklung zu geben. Wenn eine solch weltweite Partnerschaft innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt, so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, daß ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt
– U Thant, 1969


Das exponentielle Bevölkerungswachstum, die »Bevölkerungsexplosion«, ist auch ein beliebte rechter Talking Point, wenn es darum geht die vermeintlich »unzivilisierte« Welt gegen die eigene, vermeintlich »zivilisierte« Welt auszuspielen und in einen nationalen Protektionismus zu verfallen. Dabei ist das Bevölkerungswachstum nicht das eigentliche Problem. Armut ist das Problem. Das veranschaulicht Hans Rossling in seinem TED-Talk von 2010 sehr gut. Deshalb sind die Sustainable Development Goals (UN SDGs) auch so wichtig und die Bekämpfung der Armut das Ziel Nummer 1.


Was mich beim Lesen, besonders beim eingangs zitierten Satz, so verstört zurück lässt: Der Text ist über 50 Jahre alt und gefühlt sind wir nur kleine Schritte vorangekommen und die Politik will weltweit große Schritte zurück machen. Oder, wie Bertrand Badré in der taz schreibt:


Künftige Historiker werden sich fragen, warum Homo sapiens Mitte der 2020er Jahre Ressourcen in den Kampf gegeneinander gesteckt hat, während er kollektive Maßnahmen gegen offensichtliche planetarische Bedrohungen vernachlässigte.


Randnotizen

📼 Social Engineering: You Are Easier To Hack Than Your Computer: Social Engineering nennt sich die Technik, um Menschen Informationen zu entlocken oder sie dazu zu bringen, Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen. Mit den so erschlichenen Informationen kann man sich als die andere Person ausgeben und so Zugang zu Accounts erhalten. Passwörter, Geburtsdaten, Antworten auf Sicherheitsfragen, all sowas lässt sich mit Social Engineering entlocken. Scammer Payback interviewt eine Sicherheitsspezialistin, die sich auf Social Engineering spezialisiert hat und zeigt, wie schnell man selbst »gehackt« werden kann.


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📼 + 📒 I Hate Man: lin illu, deren Zine-Serie droplet ich euch im letzten Newsletter empfohlen habe, hat ein beeindruckendes Gedicht zum Thema ›toxische Männlichkeit‹ und das soziale Konstrukt das Männer verkörpern gemacht, dass ich euch sehr ans Herz lege. Das Gedicht gibt es bei Ihr auch als Zine.


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📼 The AI That Flooded X With Hitler Praise—Then Won A Military Contract: Ein ausführliches Video-Essay darüber, wie es dazu kam, dass Grok, der KI-Bot von xAI, sich selbst als »MechaHitler« bezeichnete, inklusive einer kurzen Einführung in KI-Systeme basierend auf Large Language Models (LLMs). Besonders ist mir eine Aussage hängen geblieben: »We’re only as safe as our least safe frontier AI company. As soon as a powerful system falls in the wrong hands it is out there, it is hard to get back.« (bei Minute 32:31). Und gerade deshalb kann ich es nicht nachvollziehen, warum OpenAI ein so mächtiges Tool wie Sora 2 einfach so auf die Öffentlichkeit loslässt. The line must go up, I guess.


Um auf einer etwas unterhaltsamen Note zu Enden: Why There Is No AI In The EU.


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📆 OK.NRW-Barcamp 2025: 22.11.: Am Samstag, den 22.11., ist in der VHS Wuppertal wieder das Barcamp von Offene Kommunen.NRW zu Demokratie und Open Government. Diese Jahr unter dem Motto »Dis/connected: Was uns trennt, was uns verbindet«. Wenn ihr euch irgendwo im Bereich Open Government, Open Data oder politischem Engagement bewegt, kann ich euch das Barcamp nur wärmstens empfehlen. Vielleicht bin ich auch da.


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📆 #genuggekürzt: Demo am 05.11.: Die Landesregierung in NRW plant fast 160 Millionen Euro an den Hochschulen und Universitäten einzusparen und damit weiter an der Bildung zu sparen. In Wuppertal soll deshalb sogar demnächst der Studiengang Architektur wegfallen. Dagegen formiert sich ein breites Bündnis der Studierendenvertretungen, die zu einer gemeinsamen Demo am 05.11. in Düsseldorf aufrufen. Wenn ihr aus NRW kommt und euch das Thema irgendwie angeht, geht hin!


Musik zum Ausgang

Bisher hatte ich mit J-Pop nicht viel Berührungen, aber diesen Monat stieß ich auf den Song »8888888« von PiKi (Spotify, YouTube), der mich mit seinem tiefen, dunklen, beinahe hypnotischen elektronischen Beat in seinen Bann zog. Wenn man dieser Übersetzung trauen kann, geht es um das Gefühl gefangen in seinem Leben zu sein und einen Ausweg zu suchen. Wer kennt es nicht? Und deshalb landet der Song auf der Spotify-Playlist zum Newsletter.


Nachwort

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Die Tage werden jetzt rasant kürzer, es wird immer früher dunkel und die Temperaturen werden kühler. Der Winter schickt seine Vorboten voraus. Und auch bei mir sind die ersten Vorbereitungen getroffen: Mein Zine für den Zine-Tausch-Adventskalender von zines.cool (der dieses Jahr alle Rekorde gebrochen hat) wurde diesen Monat fertig. Ich habe noch ein paar Exemplare übrig und überlasse dir gerne eines – antworte einfach auf diese Mail. Scheue dich nicht!


Beste Grüße

Arne




PS: Oje, warum klinge ich diesen Monat so fatalistisch? Vielleicht liegt es an der Mond-Phase.

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