untitled-Newsletter 20
Oct 01, 2025 10:06 am
Hallo werte Leserschaft,
wenn die Spätsommersonne die Welt in goldenes Licht taucht und die Nebelwolken schwer in den Tälern zwischen den Berghängen liegen, dann stelle ich immer wieder fest, ich bin ein Herbstmensch. Der September ist für mich dabei ein Monat des Übergangs und des Umbruchs, noch etwas im Sommer verhaftet, aber das Licht verändert sich und der Herbst schickt seine Vorboten. Mit einer warmen Tasse Tee gucke ich nun auf den Monat zurück und was mich beschäftigt hat.
Bevor es hineingeht möchte ich mich noch einmal für das viele positive Feedback zum Newsletter bedanken, dass ihr mir in den letzten Wochen habt zukommen lassen! Das freut mich sehr! Wenn ihr etwas zu ergänzen habt oder mir Dinge schicken wollt, antwortet einfach auf diesen Newsletter oder schreibt an: arne@arne.xyz
Fragmente
Diesen Monat kamen wieder einige Themen zusammen, die mich in ihrer Gesamtlage zum Nachdenken anregen und zu denen ich das Gefühl habe, eine Haltung entwickeln zu müssen, die aber nicht einfach »Ja« oder »Nein« ist, sondern viele Schattierungen hat. Und die weiteres Wissen und Nachdenken braucht.
Anfang des Monats war ich im Rahmen der Digitalen Woche Dortmund bei einem Vortrag zu »Digital Twins in der Smart City« bei der FH Dortmund. Aus Forschungsprojekten wurde gezeigt, was heute schon geht und mit welchen Technologien zukünftig der Innenraum aber auch der urbane Raum »smart« gemacht werden könnte.
Ein ›Digital Twin‹, zu Deutsch »digitaler Zwilling«, ist eine Repräsentation eines physischen Objekts in Software. Beide, Objekt und Software, sind dabei möglicherweise auch noch durch Sensoren und Aktoren (also bspw. Motoren) miteinander verbunden, sodass Software und Objekt miteinander interagieren können. Meist bezieht sich der Begriff ›Digital Twin‹ aber auf ein Gebäude oder eine Stadt, könnte aber in der Idealvorstellung auf alle Objekte und die gesamte Welt ausgeweitet werden – womit es sich mit den Ideen »Metaverse« und AR/VR berührt.
Ein forscher Mitzuhörer beim Vortrag warf immer wieder die Frage ein, warum dieses oder jenes nicht schon längst gemacht wird und dass das alles hierzulande viel zu langsam, behäbig und reguliert sei.
Später in diesem Monat hörte ich die Podcast-Reihe »China Games« vom Tagesschau-Podcast 11KM Stories: Folge 1, Folge 2, Folge 3, Folge 4. Darin geht es um den Technik-Produzenten Huawei und seine Marktstellung bei Kommunikationstechnologien wie Mobilfunk und mögliche Verstrickungen mit der chinesischen Regierung. Dabei wird immer wieder der »China Speed« angesprochen, ein Phänomen oder Konzept, dass beschreibt, wie mit unglaublicher Geschwindigkeit Technologie vorangebracht und flächendeckend implementiert wird – quasi nach dem FDP-Motto »Digital first, Bedenken second«.
Und genau in diesem Spannungsfeld zwischen »deutscher Bedächtigkeit« und »China Speed« versuche ich Ankerpunkte zu finden, um eine Haltung zu entwickeln. Aber die Themen sind komplex, die Technologien sind komplex und die Folgen sind nicht immer absehbar. Dass, was mich umtreibt, lässt sich wahrscheinlich am ehesten mit dem Begriff ›Technikfolgenabschätzung‹ beschreiben.
Der größte Faktor, sowohl bei der »deutschen Bedächtigkeit« als auch beim »China Speed« scheint mir der politische Wille zu sein. Und dieser nicht nur, wie in China auf höchster Ebene mit 5 Jahresplänen, sondern bis hinunter in die Stadtverwaltungen. Die Frage, warum es hierzulande nur langsam mit Digital Twins und Smart Cities vorangeht, halte ich für eine politische Frage, denn es bedarf eines Anreizes oder einer Pflicht dazu, diesen Mehraufwand zu tätigen. Würde es politisch gewollt werden, dass jeder (öffentliche) Neubau einen Digital Twin hat, wäre es eine Anforderung die bei Planung und Bau erfüllt werden müsste. Das wäre aber ein zusätzlicher Mehraufwand in einer Branche, die eh unter Regulierung ächzt und sich Deregulierung wünscht.
Die große Frage dabei ist auch: Wofür? Wofür sollen Gebäude und Städte »smart«, sprich digital werden? Wofür sollen Gebäude und Städte digitale Zwillinge erhalten? Eine erste Antwort darauf ist: Effizienz. Aber die Frage ist auch hier: Effizienz wofür? Angesichts der Klimakrise und der dafür nötigen Energiewende bedarf es neuer Infrastruktur, die weg geht von den großen, zentralen Kraftwerken hin zu kleinen, dezentralen Sonnen-, Wind- und anderen Arten von Kraftwerken und diese müssen über »intelligente Netze« gesteuert werden. Hierbei können Aspekte von Digital Twins und Smart Cities eben nötige Werkzeuge sein. Und hierbei können auch effizient klimatisierte Gebäude ein Weg sein, Energie einzusparen.
Jedoch sollten wir die Folgen von durch-digitalisierten Gebäuden und durch-digitalisierten Städten nicht aus dem Blick verlieren. Smart Homes, die Anfänge von Digital Twins im privaten Bereich, können zur Überwachung der dort lebenden Menschen und zur häuslichen Gewalt verwendet werden. Ebenso können die Sensoren und Kameras einer Stadt zur Überwachung eingesetzt und Menschen damit kontrolliert werden. Zudem fallen Unmengen an Daten an, die nicht nur gespeichert werden müssen, sondern die sich auch der Kontrolle uns Bürger:innen entziehen und die ggf. sogar noch in den Händen von Firmen liegen, die mit ihrem »Datenschatz« vielleicht noch in eine Zweitverwertung gehen wollen. Hier zeigt auch das Beispiel KI, dass es noch gar nicht absehbar ist, zu welchem Zweck solche Daten zukünftig genutzt werden könnten: Wir haben in den letzten 20 bis 30 Jahren das Internet mit Inhalten befüllt, nun werden diese Inhalte genutzt, um KIs zu trainieren, die dann auf dieser Basis neue Inhalte genieren.
Ich merke, dass ich hier – wie eingangs erwähnt – innerlich ringe (»In me are two wolves …«) und auch um eine Haltung ringe. Früher war ich auch mehr auf der technischen Überholspur: »Warum wird es nicht einfach gemacht?«, »Warum dauert in Deutschland immer alles so lange?« »Geht das nicht schneller?«. Mittlerweile bin ich aber vorsichtiger geworden; die Folgen des »move fast and break things« der 2010er Jahre werden immer deutlicher.
Deshalb sollten wir bei den technischen Neuerungen – nicht nur Digital Twins und Smart Cities – immer die Frage nach dem »Wofür?« im Blick behalten: Wofür ist es gut? Was sind die Vorteile und die Nachteile? Welche Vorteile überwiegen welche Nachteile? Und hier sind wir schon wieder mitten im Aushandlungsprozess der politischen Willensbildung, bei der Interessen sowie Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden müssen.
~
Wann war dir das letzte Mal langweilig? Das ist eine Frage, auf die mir jedenfalls keine direkte Antwort einfällt. Tatsächlich gab es eine Zeit, in der ich mich damit gebrüstet habe, keine Langweile zu haben, als sei es etwas Gutes, keine Langweile mehr zu verspüren. In letzter Zeit blicke ich aber wieder anders auf Langweile, nämlich als etwas positives, aus dem neue Dinge entstehen können und ich kreativ schöpfen kann. Dazu musste ich mir aber klarmachen, dass ich es »verlernt« habe, mich zu langweilen.
Dies wurde auch durch zwei Videos befeuert, die in ähnliche Richtungen gehen: In einem Selbstexperiment hat Techlich Lena 7 Tage nur 7 Apps auf ihrem Smartphone nutzen dürfen und die Smartphone-Zeit zudem stark eingeschränkt. Damit war ein großer Zeitfresser und der Langweiler-Killer schlechthin ausgeschaltet.
Der Harvard-Professor Arthur C. Brooks erklärt warum es sogar wichtig für uns ist uns zu langweilen: Wir konfrontieren uns beim Langweilen mit den großen Fragen des Lebens, denen wir sonst immer ausweichen können und die, so behauptet er, bei Verdrängung zu Niedergeschlagenheit und Ängstlichkeit führen können.
Also, gute Gründe mal wieder sein Smartphone zu bändigen und sich mal wieder zu langweilen.
~
Vor einigen Wochen fragte mich ein Freund im Gespräch, woher ich mein Wissen zum Thema »KI« beziehe. Vieles eigne ich mir, wie so oft, durch Querlesen von einschlägigen Artikeln, Vorträgen und Blogs an. Meine erste tiefe Beschäftigung mit dem Thema war aber vor einigen Jahren im Rahmen eines Seminars der Wissenschaftstheorie zum Thema »Modell-Bildung«. Darin habe ich mich mit dem OpenWorm-Projekt beschäftigt, das einen simplen Fadenwurm komplett in Software nachbilden. Das Konnektom des winzigen Wurms, also sämtliche neuronalen Zellen und Verbindungen, wurde dabei als Neurales Netz (Neural Network) nachgebildet – die Technologie, auf der die meisten großen KIs derzeit basieren. Dieses Neurale Netz wurde dann auf einen LEGO Mindstorms-Roboter übertragen und der Roboter fing an, sich wie der Wurm zu verhalten, ohne dass das Verhalten programmiert oder trainiert wurde (Video) – ein Geist in einer Maschine. Durch Software. Künstliche Intelligenz.
Einen guten Einstieg und Überblick ins Thema »KI« gibt das Buch »You Look Like A Thing And I Love You« von Janelle Shane. Auf unterhaltsame Weise erklärt Shane die Grundlagen der KI-Technologie und welche Arten von KIs es gibt, wie sie trainiert werden und wo ihre Stärken und Schwächen liegen. In einem gleichnamigen Vortrag für »Talks At Google« präsentiert Shane eine gute Zusammenfassung ihres Buchs: You Look Like A Thing And I Love You @ Talks At Google. Shane betreibt mit AI Weirdness einen KI-Watchblog, indem sie ihre Beobachtungen und Experimente mit KI sammelt.
Auf dem YouTube-Kanal von Computerphile erklären Menschen aus der Forschung kurz und knapp Computer-Konzepte, darunter auch vieles zu KI. Manche Videos sind ohne ein gewisses Vorwissen nicht ganz einfach zu verstehen, aber sie sind eine gute Vertiefung und erklären, was technisch wirklich dahinter steckt.
Vom Deutschlandfunk höre ich seit einiger Zeit den Podcast »KI verstehen«, der sich mit den verschiedensten Einsatzbereichen von KIs und den Auswirkungen auf alle Bereiche unseres Lebens beschäftigt.
Randnotizen
📼 Your Journey Into Analog Glitch Art: Nein, »Analog Glitch Art« wird kein neues Hobby von mir – dafür habe ich gerade ein neues, anderes angefangen und sollte mich eh mehr langweilen –, aber dieses Video von Nathan Colby gibt einen kurzen Einblick darin, in welchen Kaninchenbau und Kabelwirrwarr man da fallen kann. Und das unheimlich gut inszeniert.
~
🎙️ Losing My Religion? Doku über Muslime, die mit dem Glauben ringen: In der August-Ausgabe vom ARD Radiofeature geht es um den Umgang vieler deutscher Muslime mit ihrem Glauben. Ein spannender Einblick in die Lebensrealität vieler Mitmenschen, über die ich viel zu wenig weiß.
~
📒 droplet-Zine-Serie: Linda aka. lin illu erstellt und illustriert seit Januar jeden Monat ein Zine zu einem Thema, das sie in dem Monat beschäftigt hat (quasi wie dieser Newsletter nur monothematisch und in Zine-Form): Das fängt bei Käfern an, geht über KI, Demenz, Addams Family uvm. Die Zines können kostenlos heruntergeladen werden, zum digitalen Lesen oder zum Ausdrucken.
Einige ihrer Zines wurden auch in der Podcast-Folge 15 von zines.fm besprochen. Darin erfährt man auch noch etwas mehr zur Idee und dem Entstehungsprozess ihrer Zines.
~
Apropos: Anfang des Monats hat mich Jenni für den Podcast zines.fm zu meinen Zines und diesem Newsletter interviewt. Die Folge soll voraussichtlich Anfang November erscheinen.
Musik zum Ausgang
Billain, mit dessen Track »Different Eyes« ich im untitled-Newsletter #01 die Playlist zum Newsletter eröffnet habe, hat Ende August sein neues Album »Mirror« (Bandcamp / Spotify) veröffentlicht. Auch in diesem Album entwirft Billain wieder dichte elektronische Soundwelten, die teils melancholisch, teils dystopisch sind. Und aus diesem Album landet nun »Timeless Mirror« auf der Playlist zum Newsletter.
Nachwort
Also, wir sollten uns mal wieder mehr langweilen und schauen, was daraus schönes entsteht. In diesem Sinne: Bis nächsten Monat und: abschalten!
Beste Grüße