untitled-Newsletter 10
Dec 01, 2024 2:29 pm
Hallo werte Leserschaft,
uff … was für ein Monat! Was für ein November! Der Ausgang der Wahl in den USA und das Platzen der deutschen Regierung haben direkt in der ersten Woche wieder für historische Ereignisse gesorgt — und ich muss leider sagen, dass Ersteres mir deutlich auf’s Gemüt geschlagen hat. Bei dem weltweitem Rechtsruck und der immer deutlicheren Klimakrise nicht die Hoffnung zu verlieren, das fiel mir diesen Monat nicht leicht. Eine kleine Flucht ins Private war meine Bewältigungsstrategie, auch wenn es jetzt erst recht heißt, für eine gerechte und zukunftsfähige Welt zu kämpfen – aber ohne eigene (mentale) Kraft ist das nicht möglich, deshalb müssen Rückzug und Auszeit auch mal sein.
Fragmente
Anfang des Monats habe ich meinen Blog arne.xyz einem Redesign unterzogen und bin nun wirklich zufrieden mit dem Ergebnis: Minimalistisch, mit Fokus auf Typographie und kleinen gestalterischen Kniffen. Wenn man Spaß daran hat, sich durch die eigene Website zu klicken und seine eigenen Texte noch mal zu lesen, dann ist das ein gutes Zeichen. Mir macht es Freude immer mal wieder an weiteren Kleinigkeiten zu feilen und ich habe noch ein paar Ideen, die ich gerne umsetzen möchte.
Mit dem Ergebnis bin ich so zufrieden, dass ich mich endlich getraut habe, mich für den Webring von Devine Lu Linvega aka. XXIIVV zu bewerben. Einem Webring mit vielen individuellen und kreativen Websites von kreativen Menschen.
Apropos: Mit meinem Freund Jonas sprach ich vor ein paar Wochen über die Monotonisierung des Webs. Die guten alten Webringe sind eine tolle Möglichkeit individuelle Websites und die Vielfalt des Webs neu zu entdecken. Deshalb ist mein Blog auch im IndieWeb-Webring, bei UberBlogr und jetzt im XXIIVV-Webring angemeldet.
Noch mehr Webringe sammele ich bei Pinboard. Falls ihr noch tolle Webringe oder schöne Websites kennt, lasst es mich wissen!
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Meinem Blog ein neues Design zu geben hat mich motiviert einige Dinge im Dunstkreis fertigzustellen:
Das neue Design basiert auf meinem neuen Starter-Theme cp-blank für ClassicPress. ClassicPress ist eine WordPress-Variante ohne den (neuen) Gutenberg-Editor. Vor 9 Jahren, als ich noch viel mehr an WordPress-Websites gearbeitet habe, habe ich mit wp-blank mein eigenes kleines Starter-Theme erstellt. Und nun habe ich das Theme modernisiert und für ClassicPress angepasst. Derzeit arbeite ich daran, die letzten Fehler auszubügeln, damit es im offiziellen ClassicPress-Theme-Verzeichnis aufgenommen wird.
Im Mai habe ich mich entschlossen meine digitalen Notizen nicht länger in Evernote zu sammeln. In einem ersten Blog-Post im Mai habe ich meine Optionen sondiert: On Leaving Evernote. Kurz darauf habe ich mich für Bear entschieden und wollte in einem zweiten Post über den Wechsel berichten. Seit Mai schlummerte dieser Artikel in meinen Entwürfen und ich habe ihn nun endlich fertig: From Evernote To Bear. Nun ist ein dritter Post in Arbeit, indem es mehr um handfeste Tipps für den Wechsel zu Bear gehen soll.
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Diesen Montag, am 25.11., war internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Es ist sehr gut, dass dieses Thema endlich eine größere mediale Öffentlichkeit bekommt und die Fälle systematisch erfasst werden, auch wenn die Dunkelziffern massiv höher liegen, als in den offiziellen Statistiken. Deswegen ist auch wichtig, dass Männer sich reflektieren, sich in diesem Diskurs beteiligen und diese psychische und physische Gewalt anderer Männer nicht schweigend hinnehmen.
In der taz gibt es dazu eine eindrückliche Recherche, in der die gemeldeten Gewalttaten gegen Frauen in zwei deutschen Großstädten in einer Woche gesammelt wurden. Herausgekommen ist eine beklemmende Liste der männlichen Gewalt gegen Frauen: Eine ganz normale Woche in Deutschland. Dazu der Hintergrundbericht: Weil sie weiblich sind.
Die taz sprach zudem mit der Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm. Aus dem Interview möchte ich zwei Stellen hervorheben, sich sich auf die strukturellen Bedingungen für die Gewalt, die Legitimierung und Ermöglichung beziehen:
taz: Die Zahlen von Partnerschaftsgewalt sind zuletzt gestiegen. Wie erklären Sie sich das: Gibt es mehr Fälle oder wird heute schneller angezeigt?
Clemm: Das ist schwer zu sagen, die letzte umfassende Dunkelfeldstudie zu dem Thema ist 20 Jahre alt. Aber ich habe in meinen Beratungen zunehmend mit betroffenen Frauen zu tun, die keine Anzeige erstatten. Ich gehe also davon aus, dass es tatsächlich mehr Fälle werden. Eine Begründung wird als feministisches Paradox beschrieben: Je mehr feministische Errungenschaften es gibt, desto mehr steigt die patriarchale Gewalt. Ich glaube dazu kommt, die krisenhafte Situation, in der wir leben – Klimakrise, Kriege, zunehmende Armut – Männer motiviert das, diejenigen zu misshandeln und erniedrigen, die in der Hierarchie unter ihnen stehen. Also ihre Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen. Und sie sehen ja, dass dieses Verhalten zunehmend akzeptiert wird. In den USA ist gerade ein Mann wieder zum Präsidenten gewählt worden, dem 34 Frauen sexuelle Übergriffe vorwerfen. Der globale Rechtsextremismus feiert ein tradiertes, wehrhaftes Männerbild. Religiöser Fanatismus, egal ob evangelikaler oder islamistischer, zelebriert die Unterdrückung der Frau. Es wundert mich also nicht, dass patriarchale Gewalt zunimmt.
Und später:
Clemm: […] Jeder Politikbereich hat direkte Auswirkungen auf den Schutz von allen Frauen, Mädchen und queeren Menschen. Wenn es nicht genug Wohnungen gibt, dann bleiben Frauen eher bei ihrem gewalttätigen Partner. Wenn der Öffentliche Nahverkehr eingeschränkt wird, haben Frauen auf dem Land kaum Möglichkeiten, Beratungsstellen aufzusuchen. Wenn Jugendarbeit nicht mehr finanziert wird, sondern nur noch von Rechten angeboten wird, dann verfallen Jugendliche nachweislich in konservative Geschlechterbilder. Wenn also der Sozialstaat abgebaut wird, dann fördert das geschlechtsbezogene Gewalt. Das muss eine Regierung erkennen, und darauf hoffe ich trotz allem.
Deshalb ist sozial-gerechte und Klimaschutz-orientierte Politik, die die multiplen Krisen unserer Zeit ernst nimmt, so wichtig.
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Bleiben wir kurz bei der systematischen Unterdrückung von Frauen*: Im Kanon der westlichen Philosophie spielen Philosophinnen kaum eine Rolle. Hannah Arendt, Simon de Beauvoir und Judith Butler stechen heraus – sie sind aber alles erst Denkerinnen des 20. bzw. 21. Jahrhunderts. Bis zum Ende des 19. Jh. finden Frauen in der westlichen Philosophie nicht statt – jedenfalls nicht als Denkerinnen. Derzeit lese ich unterwegs Wilhelm Weischedels »Die philosophische Hintertreppe«, eine beliebte Darstellung der Philosophie-Geschichte, die die Philosophie anhand ihrer Denker und deren Leben skizziert. In 2.500 Jahren Philosophie-Geschichte und Biographien tauchen Frauen nur als Randphänomen auf, z. B. bei Sokrates, der angeblich von seiner Frau Xanthippe von zuhause floh — was mittlerweile als widerlegt gilt — oder bei Meister Eckhart, der in Frauenklöstern predigte und dort wohl auch Theologie und Philosophie lehrte, was aber – angeblich – die Frauen überforderte.
Im fluter spricht die Philosophin Ruth Hagengruber über eine systematische Verdrängung der Frauen aus der Philosophie-Geschichte zum Ende des 18. Jh.:
Wir lernen eine Verdrängungsgeschichte als einzige Wahrheit. Deshalb wachsen wir in einer frauenlosen Kulturgeschichte auf. Wenn Newton nur jeden zweiten Planeten vermessen hätte, um deren Dynamik zu erklären, dann hätten wir heute ein falsches Verständnis vom Sonnensystem. Nicht anders ist es in der Philosophie: Wir lehren eine falsche Beschreibung der Wirklichkeit und der Geschichte.
Sehr lesenswertes Interview und für mich ein Ausgangspunkt auch noch einmal aufmerksamer in die Philosophie-Geschichte zu Blicken: Who the fuck is Olympe de Gouges?
Randnotizen
- Menschen klettern auf 40 Meter hohe Tannen für unsere Weihnachtsbäume: Eine Dokumentation vom Y-Kollektiv von 2020 wie Weihnachtsbäume produziert werden – und wie Menschen dafür ihre Gesundheit und Leben riskieren.
- How To Dumb-ify Your Phone And Get Your Life Back—4 Month Later: Im untitled-Newsletter #06 berichtete ich von meiner Algorithmic Fatigue und der YouTuber Digging The Greats verspürte diese kurz davor auch und entledigte sich seines Smartphones. Nun, vier Monate später, gibt er einen Einblick, wie es ihm mit seinem »dumbified« Smartphone ergeht.
- The Four Terms & Service Horseman Of The Trumpocalypse: Die Wahl von Donald Trump, den Republikanern und ihrem »Project 2025« wird nicht nur die USA betreffen, sondern auch die Firmen, die unsere halb-öffentlichen Austauschräume im Web stellen. Alice Hunsberger vom Newsletter Everything In Moderation gibt einen Ausblick darauf, wie diese Politik die Plattformen beeinflussen wird – und das wahrscheinlich nicht nur in den USA.
- Wildes Essen vom Straßenrand: arte stellt in dieser kurzen Dokumentation das Konzept des Urban Foraging vor: Die Stadt als Lebensmittellieferant – und zwar nicht durch Lebensmittelanbau in der Stadt, sondern durch das Auflesen und Sammeln der Pflanzen im öffentlichen, urbanen Raum.
- my first hate comment: Winnie Lim ist chronisch krank und bloggt über seine Krankheit und sein Leben. Im März diesen Jahres hat er dazu auf seinem Blog seinen ersten Hate-Kommentar erhalten und er reflektiert darüber in einem, für mich, sehr beeindruckenden Beitrag: »I have never claimed that my story is unique or special, but the point of having a blog is to write my truth. When I was younger I really believed everybody felt like me, only to find out most people have never even once contemplated what it means to end their own life. There is inherent suffering in being human, but people will endure incredible suffering just to stay alive, because they want to be alive. To them, being alive is a gift.«
- Cabel Sasser, Panic @ XOXO Festival 2024: Cabel Sasser, vom Software- und Game-Studio Panic, stellte auf dem XOXO Festival den unbekannten Illustrator und Concept Artist Wes Cook vor, auf dessen Arbeit er durch Zufall durch ein bizarres Wandgemälde in einem McDonalds aufmerksam wurde. Damit plädiert er für ein modernes memento mori und eine Art von »just put stuff out there«.
Musik zum Ausgang
Für mein Zine für den Zine-Tausch-Adventskalender von zines.cool habe ich eine winterlich-weihnachtliche Playlist zusammengestellt: Wenn der Winter kommt …
Passend zum November landet aus dieser Playlist »Melancholie« von Kapelle Petra auf meiner Playlist zum Newsletter.
Nachwort
Nun lassen wir den November hinter uns und heißen den Dezember willkommen. Ich wünsche dir und uns, dass es eine ruhigere Zeit wird, eine Zeit, in der wir alle zur Ruhe kommen, besinnen und Kraft tanken können. Ich wünsche dir, , schöne Feiertage und wir lesen uns im neuen Jahr.
Beste Grüße