untitled-Newsletter 04
Jun 01, 2024 10:03 am
Hallo wehrte Leserschaft,
willkommen zur vierten Ausgabe des untitled-Newsletters. Nachdem der Mai so schnelllebig begann, wie der April endete, fiel ich Mitte des Monats in ein Motivations- und Kreativ-Loch, aus dem ich noch nicht so richtig wieder raus bin. Seit ein paar Tagen versuche ich schon den Newsletter zu schreiben, finde aber keinen richtigen Ansatz … Also folge ich dem Rat, den mein Freund Thomas mir vor langer Zeit gab: »Mache aus der Not eine Tugend«. Hier also meine Fragmente, die noch etwas fragmentierter sind:
Fragmente
In gut einer Woche, am Sonntag den 09. Juni, ist Europa-Wahl in Deutschland. Auch wenn das europäische System kompliziert ist und wesentlich demokratischer sein könnte, ist das europäische Parlament immerhin die einzige Instanz, die wir Bürger:innen direkt wählen können – und deshalb auch auf jeden Fall sollten! Auch um die rechts(-extremen) wie die AfD zu verhindern!
Der Kabarettist Nico Semsrott, der 2019 mit der Partei Die PARTEI, ins Parlament einzog, wollte damals regelmäßig aus dem Parlament berichten und aufklären, scheiterte aber nach einiger Zeit daran. Über seine Zeit im Parlament hat er jetzt ein Buch geschrieben und darum ein Bühnenprogramm inszeniert. Das kann man sich nun kostenlos auf YouTube angucken + Zugaben Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
Auch wenn das System, wie Semsrott offenlegt, teilweise absurd und deprimierend ist, so ist es doch beeindruckend, dass es das System gibt und wir über viele Länder hinweg zusammenarbeiten. Und es gibt immerhin die Hoffnung, dass es mit integeren Poltikier:innen auch eine Veränderung des Systems möglich ist – deshalb ist wählen wichtig.
Also: Wahl-O-Mat anwerfen und ein bisschen nachlesen, wer hinter den eigenen Werten steht. Oder es mit Holgis kategorischen Wahl-Imperativ aus der Wochendämmerung vom 17.05. angehen:
Macht euer Kreuz bei derjenigen Partei, von der ihr annehmen könnt, dass ihr mit deren Politik am besten Leben könntet, wenn sie die absolute Mehrheit hätte. Und dann vergesst nicht, dass auch alle anderen Menschen damit leben können sollten.
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Seecontainer als Basis für ein (Tiny-)Haus? Die Idee ist verlockend: Der Preis für den Container ist günstig, der Modul-Charakter verführt auch dazu, zu denken, man könnte Häuser eventuell modular erweitern. Die Praxis ist aber nicht so einfach: Jede Öffnung im Container schwächt die Steifigkeit und macht zusätzliche Verstärkung nötig; Modularität und Erweiterbarkeit ist praktisch nicht einfach zu erreichen; und günstig bliebt ein Container-Haus dann auch nicht, wenn man einen dünnen Metall-Container in ein vernünftig isoliertes und wohnliches Haus umbauen möchte. Selbst für temporäre Häuser ist es sinnvoller, Häuser im Format eines Seecontainers zu bauen, als einen Container umzubauen.
Der Architekt Mark Hogan listet in einem Beitrag bei ArchDaily die Nachteile sehr ausführlich auf. In einem Video von Vox, in dem er als Experte zu Wort kommt, gibt es zum Schluss aber einen versöhnlichen Grund für die Verwendung von Seecontainern: Ästhetik und kulturelle Referenz. Wie sich der Klassizismus und der Historismus in der Architektur auf die Ästhetik der römischen und griechischen Kultur bezieht, so bezieht sich der Container auf unsere Zeit des Spätkapitalismus und der Globalisierung. Und diese Ästhetik und Symbolik kann ein Gestaltungselement sein.
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Steht das Web am Rande des Abgrunds? Dieses Gefühl beschleicht mich derzeit, wenn ich einige Texte lese; andererseits habe ich das Gefühl, dass das Web wegen Facebook, Twitter und Co. schon lange am Abgrund stehen soll und doch, gibt es immer noch viele Menschen und Websites, die das Web hochhalten. Dennoch, Plattformen die versuchen die gesamte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und generative KIs, die das Web kannibalisieren, sind ein Problem:
Im eher atmosphärischen Stück »Heat Death Of The Internet« beschreibt Gregory Bennett das Problem des Plattform-Kapitalismus in Web und Apps und deutet auch schon die Verschlechterung der Inhalte durch generative KIs an. In »Here Lies The Internet, Murdered By Generative AI« von Erik Hoel wird letzteres sehr konkret und beängstigend: Risikokapital-getriebene Firmen wie OpenAI veröffentlichen generative KI-Systeme wie ChatGPT um noch mehr Kapital zu binden; und Menschen, die schnelles Geld machen wollen, überfluten die Plattformen mit schnell erstellten, KI-generierten Inhalten, ohne Rücksicht auf Inhalte oder Konsument:innen – besonders Erschreckend: Videos für Kleinkinder auf YouTube Kids, massenweise produziert. Inhalt? Egal. Ethik? Egal. Hauptsache Klicks, Werbung und Einnahmen.
Oliver Reichenstein von iA versucht in »No Thanks« etwas dagegen zu halten und appelliert für einen kritischen Gebrauch von Tools und Gadgets:
Now on to the good news. Your no thanks doesn’t need to be an absolute, total, eternal no. We can use typewriters to write letters and write a poem on our phone at the bus stop. We can say no thanks to AI phone bots but still use ChatGPT to help us understand Aristotle’s Metaphysics in the original. We can be both critical and appreciative of new technology without categorically accepting or rejecting it.
Knowing what you want doesn’t mean that you don’t “get it”. What do we tell our kids when they first pick up a guitar, a hammer, or a knife? Don’t hurt yourself. Be careful. Don’t break it. Being careful with tools, new and old, still makes a lot of sense.
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Wo wir bei KI sind: Auf unserer Messe gab es einen sehr interessanten Vortrag von Tobias Wallisser über den Einsatz von KI-Tools in der Städteplanung auf Einladung der Architektenkammer NRW, der m. M. n. genau mit der richtigen Mischung aus Neugier und kritischer Distanz an das Thema herangeht. Den Vortrag gibt es (nach Registrierung) kostenlos zum Stream im polisFORUM.
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Seit über 10 Jahren nutze ich Evernote für meine digitalen Notizen und ich habe eine stolze Sammlung von fast 10.000 Notizen angesammelt. Vor ein paar Jahren hat Evernote beschlossen ihre Apps auf eine andere Technologie (Electron) umzustellen, mit der sie die Apps schneller für alle Plattformen weiterentwickeln können – eigentlich eine gute Sache. Die neuen Apps wurden für mich aber immer langsamer und unerträglicher. Anfang des Monats habe ich nun beschlossen, dass ich nicht mehr bei Evernote bleiben kann. Im Blog-Post »On Leaving Evernote« habe ich meine Probleme und Überlegungen zu Alternativen kurzerhand festgehalten. Danach habe ich mich mit ein paar Freunden und Bekannten über deren Tools ausgetauscht und bin mittlerweile dabei meine Notizen zu Bear umzuziehen. Bear ist nicht Evernote, aber ich bin dabei anzukommen, meine Struktur zu finden und habe wieder Freude daran, meinen Jardin Intérieur zu pflegen – und habe inzwischen schon über 900 Notizen in Bear.
Killed Darlings
Auf meiner Liste für diesen Newsletter gibt es noch viel mehr Links, die ich gerne mit dir teilen möchte, um den Newsletter aber nicht noch mehr in die Länge zu ziehen, hier ein Link-Sammlung, ohne viel Kontext:
- This Video Has 72,092,348 Views: Wie APIs funktionieren und wie sie das Web mal besser machten (Fun Fact: Als ich den Link gespeichert habe, hatte das Video noch 71.843.318 Views).
- Ein vergessener Festsaal über einem Berliner Supermarkt: Kurz bevor ich das Video sah, flog eine ähnliche Entdeckung an mir vorbei … leider konnte ich den Link nicht mehr wiederfinden …
- Long Time Art: Kunstwerke die erst über Jahre, Jahrhunderte oder Jahrtausende vollständig werden, beeindruckend. Die Zeitpyramide in Wernding hat dabei aber einen Rechenfehler gemacht … (Klassischer Off-By-One-Error … nur in Beton 😅)
- Museum Of Failure: Museum der gescheiterten Projekte und Produkte: Pinky Gloves, Fyre Festival, Theranos – alle drei verdient gescheitert; MiniDisc, Segway – unverdient gescheitert; uvm.
- Tunera: Schriften-Haus mit vielen experimentellen Schriften, alle zum kostenlosen Download.
- 3 Body Problem läuft jetzt bei Netflix und in der ARD-Audiothek gibt es die Hörspielfassung aller drei Bücher, die mich vor einigen Jahren überhaupt an die Geschichte von Cixin Liu herangeführt haben. Hörempfehlung, auch wenn das ARD-Audiothek-Intro und -Outro an jeder Folge doch nerven.
- Mein Admin-Freitag: Jenni schrieb über ihre Freitagsroutine, um Ordnung in ihrer Selbstständigkeit zu behalten. Auch wenn ich nicht mehr selbstständig bin, sind da aber ein paar gute Anregungen dabei, die ich in meine Sonntagsroutine aufnehmen möchte, wenn ich meinen Wochenplan in meinem Notizbuch mache.
- ICQ ist tot. Als Teenager der 2000er kann mich die Nachricht nicht kalt lassen, auch wenn ich mit dem Kommentar von Johannes Drosdowski in der taz übereinstimme: Es ist gut, dass es geht. Irrationalerweise kenne ich meine ICQ-Nummer aber auch immer noch auswendig …
- If Hogwarts Was A Public School In America
Musik zum Ausgang
Seitdem Stefan Niggemeier und Lukas Heinser 2010 mit dem Oslog den Eurovision Song Contest abseits der großen Medien begleiteten, habe ich auch ein gewisses Faible für diese verrückte Veranstaltung, bei der mich oft die Logistik und Inszenierung mehr beeindruckt, als die Musik. Dieses Jahr hatte ich aber mal wieder einen richtigen Favoriten: Joost Klein mit Europapa (YouTube, Spotify). Der Song verbindet Trauer, Depression, Hoffnung und die europäische Idee von grenzenlosen Staaten. Noch dichter als das Song ist nur das Musik-Video, aufgeladen mit Symbolen und popkulturellen Referenzen (hierzu empfehle ich dieses längliche Video-Essay von Overthinking Eurovision). Auch wenn es mit der Teilnahme am Finale nicht geklappt hat, definitiv mein Gewinner und meine derzeitige Hymne auf Europa – und deshalb auch auf der Spotify-Playlist zum Newsletter.
Nachwort
Nun, der Newsletter ist doch wieder lang geworden und zeigt mir auch wieder einmal: Aller Anfang ist schwer. Wenn ich dann im Prozess und beim Schreiben bin, dann geht es und dann könnte ich noch weiter schreiben, aber ich muss auch einen Punkt setzen.
Wie lief es bei dir im Mai? Auch ein kreatives Loch oder dank »Alles Neu macht der Mai« total motiviert? Hast du etwas spannendes online gelesen oder gesehen? Oder möchtest du etwas ergänzen? Lass’ es mich gerne wissen und antworte einfach auf diese E-Mail.
Beste Grüße