untitled-Newsletter 08

Oct 01, 2024 11:02 am

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Hallo werte Leserschaft,


der September flog an mir nur so vorüber, aber er brachte mir viele interessante Links, Gedanken und Erkenntnisse. Und weil es wieder so viele sind, springen wir direkt hinein:


Fragmente

Für mich wurde diesen Monat Peak AI erreicht: Im gesamten IT-Bereich scheint es kein anderes Thema mehr zu geben und in jede Software wird KI eingebaut, ob sinnvoll oder nicht. Das Thema zog sich im letzten halben Jahr auch durch meinen Newsletter und es gibt durchaus Aspekte daran, die mich interessieren, aber seit dem ich Mitte des Monats auf der Digital X in Köln war, verspüre ich eine Übersättigung. Dort herrschte in den Keynotes weiterhin der Tenor vor, wir müssten die Firmen nur machen lassen und dürften die Technologie nicht mit Gesetzen, wie dem AI Act, einengen. Auf der anderen Seite, abseits des Hypes, werden die Probleme immer deutlicher: OpenAI gab vor dem britischem Parlament zu, dass sie ihr KI-Modelle nicht ohne kostenfreie Ausbeutung von urheberrechtlich geschützten Werken trainieren können. Währenddessen werden so viele KI-generierte Inhalte ins Internet gespült, dass KIs nun von KIs lernen und die Ergebnisse immer schlechter werden – ein Modellkollaps steht bevor.


Mit dem Gefühl der Übersättigung bin ich anscheinend nicht allein: Johannes Klingbiel nimmt in seinem Newsletter den KI-Hype aus Sicht des Marktes auseinander: Selbst Investmentfirmen kommen mittlerweile zu dem Schluss, dass KI-Firmen massiv überbewertet sind, während die erhofften Gewinne ausbleiben. Damit ist klar: KI ist eine Blase und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie platzt. Dazu stellt sich die Frage, was diese Technologie bis dahin – neben dem ganzen Kapital – noch mit in den Abgrund reißt?


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Apropos Abgrund: Brian Merchant macht in seinem Newsletter Blood In The Machine den Punkt stark, dass für die Sillicon-Valley-CEOs die Vergleiche mit Sci-Fi-Dystopien kein Hindernis und keine Mahnung, sondern ein Ansporn sind:


What’s the common denominator of Elon Musk’s cybertruck Blade Runner pitch/dystopia and Mark Zuckerberg’s metaverse pitch/dystopia? That the presumed user or owner of the product is the protagonist! If you buy a cybertruck, you’ll keep yourself safe from a world on the brink, from replicants, whatever. If you’re in the metaverse, you can be like the guy from Ready Player One; a hero going on all kinds of adventures even if the world at large is collapsing outside the VR helmet — it’s a useful dystopia for marketing what is otherwise an antisocial and cumbersome technology.


Und weiter:


So it turns out it is aspirational branding, it’s just a deeply misanthropic variety — we want you to have the cool high tech thing, even if it is at the expense of everyone else, or the wellbeing of, well, society in general. And that happens to track pretty well with the ideology of the founders making these sci fi-referencing products in the first place.


Brian Merchant: For tech CEOs, the dystopia is the point


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Jenni hat einen sehr reflektierten Beitrag zu KI aus User-Sicht aufgenommen: Sind KI-Tools jetzt gut oder böse? Diese Frage lässt sich nicht mit Ja oder Nein beantworten, aber sicher ist, die Technologie ist schon um uns und gekommen um zu bleiben. Es bleibt also die Frage, wie wir damit umgehen. Im Einzelnen und in unseren Gesellschaften.


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Wissenschaftler der Cornell University haben dem Myzelium eines Pilzes ein Exosklett mit Sensoren und Motoren verpasst und damit einen Biohybrid Robot erschaffen: Ein Roboter der durch die elektrischen Signale eines Pilz-Myzeliums gesteuert wird und auf äußere Einflüsse reagieren kann, quasi ein Cyborg-Pilz.


Das ganze erinnerte mich auf den ersten Blick an das OpenWorm-Projekt, dessen Ziel es ist, den Fadenwurm C. elegans komplett in Software nachzubilden. Das Projekt sorgte vor ein paar Jahren für Aufregung, weil das nachgebildete neurale Netz des Fadenwurms auf einen LEGO-Mindstorms-Roboter geladen wurde und sich – ohne Training! – begann wie ein Fadenwurm zu verhalten – deus ex machina.


Beide Projekte sind jedoch grundverschieden: OpenWorm ist eine reine Simulation; Biohybrid Robots verschmelzen jedoch Biologie mit Elektronik. Beide Projekte werfen aber viele ethische und philosophische Fragen auf: Ab wann ist etwas ein Lebewesen? Was ist Intelligenz? Wie gehen wir mit anderen Lebensformen um? …


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Manchmal gibt es Momente, in denen mir aus verschiedenen Richtungen Dinge begegnen und sich dann plötzlich ein Bild ergibt. Im vergangenen Monat passierte mir genau das mit verschiedenen Stadtentwicklungsansätzen: Im fluter gibt es eine lesenswerte Reihe, u. a. mit dem Konzept der 15-Minuten-Stadt und der Funktionsweise einer Schwammstadt. Tenor in beiden Artikeln ist:


»In den Städten wird sich nur dann etwas verändern, wenn die Menschen das konsequent einfordern und sich selbst als aktiven Teil der Stadt und ihres Viertels begreifen«, sagt Bauer.


Und:


Der eigentliche Schlüssel sei der Wille zur Kooperation.


Aus der anderen Richtung widmet sich Hamilton Nolan in seinem Newsletter How Things Work der Stadtentwicklung in den USA um das Auto herum: Cars Have Fucked Up This Country Bad.


New cars spawn new roads. New roads spawn new sprawl. It all spawns new debts. To admit that this entire thing was a mistake involves surveying our suburban homes, our paved driveways, our SUVs, our shopping centers, our entire beloved home towns, and saying: Okay, this has all gotten out of control. As all addicts know, this piercing self-criticism can be more difficult than just continuing doing something that is unhealthy, but familiar.


Die Entwicklung der Städte um das Auto herum hat Marco de Brömmelstroet (aka. @fietsprofessor) zusammen mit Thalia Verkade in dem sehr lesenswerten Buch beschrieben: Gesellschaft in Bewegung: Wie wir unsere Straßen, Städte und unser Leben lebenswerter machen können. Aus niederländischer Sicht beschreibt er darin, wie die USA nach dem zweiten Weltkrieg ihre Vision von Autogerechten Städten nach Europa exportierten (Auszug bei Instagram) und wie wir davon wieder wegkommen.


Die Ansätze der feministischen Architektur bzw. der feministischen Stadtplanung verbinden diese Ansätze und decken die impliziten und patriarchalen Strukturen auf, u. a.: Eine Autogerechte Stadt ist eine Männergerechte Stadt. Im littlefeministblog bei Instagram gibt es eine knappe Einführung in das Thema; im Podcast der Baukultur NRW spricht Anouchka Strunden vertiefend darüber.


Splitter

  • Weird Maps Win Elections—Gerrymandering Explained: Die Map Men erklären in einem kurzweiligen Video wie das Wahlsystem der USA funktioniert und wie die Technik des Gerrymandering die Wahlergebnisse durch geschickte Wahlbezirke beeinflusst.
  • Is My Blue Your Blue? Ein Farbwahrnehmungsexperiment, das den Übergangsbereich zwischen Grün und Blau betrachtet: Ab wann ist ein Grün kein Blau mehr?
  • How Memes Are Reshaping Human Connection: Das Teilen von Memes ist ein Teil unserer heutigen kulturellen Praxis. New_ Public geht diesem Phänomen auf den Grund und benennt drei Arten der zwischenmenschlichen Verbindung über Memes.
  • Amazon’s Patents: A Dystopian Nightmare: YouTuber slow start gibt in einem aufwendigen Video-Essay einen Einblick in die dystopischen Patente von Amazon.
  • Wer ist das „LoFi Girl“?: In ihrer Reihe Mit offenen Augen widmet sich arte dem Phänomen des LoFi Girl auf YouTube, ergründet ihre Entstehung und kulturelle Wirkung.
  • How Upside-Down Models Revolutionized Architecture: Eine verblüffende und simple Technik, bei der umgekehrte Architektur-Modelle sich die Physik für die Konstruktion zur Nutze machen.
  • Hört der Jugend endlich zu! In diesem Rant fleht der YouTuber Alexander Prinz die Politik an, sich endlich den Sorgen und Nöten der Jugend anzunehmen, die von den multiplen Krisen geplagt sind und sich u. a. deshalb von den großen Volksparteien abwenden und rechts-nationalistisch wählen.
  • we.type: Typesetting How-Tos: Typographie-Tutorials von der FH Potsdam die in typographische Details hineingehen.
  • Zum Schluss ein Termin-Tipp: Am Samstag, den 23. November 2024 findet in Wuppertal wieder das OKNRW-Barcamp statt, darin geht es um Demokratie, Bürgerbeteiligung, Open Government und Open Data. Eine immer wieder spannende Veranstaltung, an der ich aber dieses Jahr leider nicht teilnehmen kann.


Musik zum Ausgang

Zufällig stolperte ich Anfang diesen Monats über den Song Star Trails von Fraunhofer Diffraction (Spotify). Das Stück lässt sich stilistisch im Which House verorten, einer Spielart des Progressive House, das zum Teil düsterer, zum Teil aber auch schriller ist. Die hypnotische Wirkung lies mich das Stück jedenfalls einige Zeit auf Repeat laufen und landet deshalb auch auf der Playlist zum Newsletter.


Nachwort

Manchmal habe ich den Eindruck, dass, je weniger Zeit ich für das Schreiben des Newsletters habe, umso länger wird er. Aber vielleicht habe ich im letzten Monat auch nur wieder mehr Internet konsumiert … wer weiß.


Beste Grüße

Arne

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