Einblick: so entsteht eine Workshop-Methode
Jun 07, 2024 11:00 am
Hallo !
Eigentlich sollte dieser Newsletter gestern schon rausgehen, aber dann konnte ich Wetter sei Dank die Freibad-Saison einläuten, und dafür habt ihr sicher Verständnis 😁🏊🏻♀️
Als Goodie habe ich euch einen Behind-The-Scenes-Beitrag mitgebracht.
Am Montag habe ich einen Offline-Workshop zusammen mit Yasmin gehalten; und da ich dort ganz analog arbeiten musste ohne Miro und Co sind auch neue Flipcharts und analoge Methoden entstanden.
Eine davon war ein "Ausreden-Bingo" und in diesem Newsletter zeige ich euch die Entwicklung und wie die Methode funktioniert.
Wie immer gilt:
- Dieser Artikel ist auch auf dem Blog, falls ihr ihn für später speichern oder an eine interessierte Person weiterleiten wollt: https://methodisch-flexibel.de/interaktive-workshop-methoden-ausreden-bingo/
- Wenn ihr mit mir und einer kleinen Gruppe zusammen euren ersten Workshop entwickeln wollt, seid ihr im Accelerator richtig. Konzept, Didaktik, Marketing & Sales – alles in wenigen Wochen.
- Wenn ihr noch unsicher seid, was für ein Thema und welche Zielgruppe ihr mit eurem Workshop bedienen wollt, startet am besten mit der Masterclass! (ca 1-2h Zeitaufwand)
Interaktive Workshop-Methoden entwickeln am Beispiel vom „Ausreden-Bingo“
Einen Vortrag halten ist (in der Theorie) einfach: man gibt Input. Ob man das dann wirklich so gut macht, dass einem die Leute an den Lippen hängen, ist eine andere Sache.
Bei einem Workshop müssen wir die Leute ins Handeln bringen. Das ist schon schwieriger.
Manchmal gibt es verkappte Workshops, in denen eeeeigentlich auch nur Input gegeben wird; und mit einer Reflexionsübung, einem Gruppenaustausch oder einer Fragerunde hat man dann vermeintlich für Interaktion gesorgt.
Damit ein Workshop wirklich ein Workshop wird, müssen wir aber anders herangehen. Wir wollen unseren Input nicht einfach nur um etwas Interaktives ergänzen; sondern wir wollen unseren Input so weit reduzieren wir möglich.
Prinzipien für echte Workshops
Um einen interaktiven Workshop zu gestalten, müssen wir uns also an diese Grundprinzipien erinnern:
- die Leute sollen so viel selber machen wir möglich
- im Workshop soll etwas erarbeitet werden
- der Input soll wenn möglich aus der Gruppe kommen; wir ergänzen nur
- die Leute sollen zusammenarbeiten – wenn möglich und sinnvoll
Teilnehmer:innen (TN) aktiv einbeziehen statt nur Wissen vermitteln: Dieser Switch ist gerade für Neulinge eine Herausforderung. Deshalb möchte ich euch an einem echten Beispiel zeigen, wie die Methodenentwicklung mit diesen Prinzipien im Hinterkopf aussehen kann.
Beispiel: eine Methode für einen Social-Media-Workshop entwickeln
Die Rahmenbedingungen
Anfang der Woche haben Yasmin und ich einen Social Media Workshop für Unternehmerinnen gehalten – und Teil davon war ein Ausreden-Bingo! Für ein bisschen Kontext: Als Location hatten wir das wunderschöne Atelier Novae zur Verfügung, ein Mietstudio in Rottenburg. Es war also nicht wie ein klassischer Seminarraum mit Tischen, Beamer und Co ausgestattet, sondern wir mussten ein wenig improvisieren und sehr offline arbeiten. Mit Flipchartpapier, Stiften und Post-Its konnten wir unsere Inhalte an rollbaren Hintergründen visualisieren.
Lernziel: Für Social Media motivieren
Es ist immer super wichtig, mit den Lernzielen zu starten und nicht einfach „irgendwas“ zum eigenen Thema zu erzählen. Das ist eine der ersten und wichtigsten Lektionen im Workshop Accelerator.
In diesem Fall war eines der Lernziele, die TN zu motivieren. Wir wollten, dass sie sich nicht (mehr) eingeschüchtert fühlen, sondern proaktiv Lust haben, verschiedene Social-Media-Sachen auszuprobieren. Dafür haben wir verschiedene Bedenken und „Ausreden“ gesammelt – sowohl im Vorbereitungsfragebogen als auch aus unserem Arbeitsalltag.
Zu diesen Ausreden gehörten zum Beispiel:
- Ich habe keine Kamera.
- Ich kann das nicht.
- ich bin schüchtern
- ich habe keine Zeit
Und so weiter. Ihr könnt sie euch sicher denken 😉
Wenn es jetzt ein Vortrag gewesen wäre, dann hätten wir einfach ein wenig Zeit einplanen können, um diese Themen anzusprechen und für jede dieser Ausreden eine Entgegnung oder Lösung zu nennen. Aber damit es interaktiv wird, musste eine Methode her!
Ein Bingo als Grundlage
Die Basis für unsere Methode liefert das Spiel Bingo. Man kennt es schon aus sowas wie einem „Bullshit Bingo“ und durch die markante Gestaltung können die TN auf den ersten Blick erkennen, wie die Methode jetzt vermutlich abläuft. Wir hatten darauf gehofft, dass wir beim Enthüllen unserer vorbereiteten „Ausreden-Bingo“-Flipchart-Folie schon ein paar Lacher und hereingerufene „Bingo“s hören – und das war auch der Fall. Das spielerische Element konnte also ein wenig Humor in den Workshop bringen und war ein schöner Kontrast zu den theorielastigeren Teilen.
Das Flipchart bestand aus drei mal drei quadratischen Feldern mit jeweils einer Ausrede. Sie waren groß genug geschrieben, so dass alle TN das Flipchart von ihrem Platz aus lesen konnten.
Die Ausreden im Bingo besprechen
Mit weniger Zeit hätte man das Bingo-Flipchart folgendermaßen nutzen können: Die TN bekommen kurz Zeit, um alle 9 Einträge zu lesen. Dann wird abgefragt, ob jemand von ihnen ein „Bingo“ hat, also eine ganze Reihe voll machen kann. Im Plenum können dann Strategien ausgetauscht werden.
Wir haben uns entschieden, hier aber noch mehr Austausch in Kleingruppen reinzubringen.
Dafür haben wir die Personen im Publikum in Zweier- und Dreiergruppen eingeteilt und jeder Gruppe einen Post-It-Block und gegebenenfalls einen Stift gegeben.
Der Arbeitsauftrag lautete: „Schaut euch das Bingo an, wählt 1-2 Felder aus, die euch ansprechen, und überlegt euch eine Gegenstrategie gegen diese Ausrede. Schreibt eure Antwort auf ein Post-It und klebt es zu dem jeweiligen Feld.“
Man hätte diese Aufgabe noch stärker steuern können, indem man die Gruppen und die Ausreden zuteilt. Stattdessen hat es sich auch von alleine gut verteilt. Manche Gruppen haben nach kurzer Zeit schon angeklebt, andere haben erst intensiv diskutiert und von ihren eigenen Erfahrungen erzählt.
Nach einigen Minuten baten wir die Gruppen, jetzt ihre Lösung anzukleben. Am Ende der Methode klebten für 8 der 9 Ausreden Lösungen am Flipchart.
Besprechung der Ergebnisse
Yasmin und ich sind dann im Plenum die 9 Ausreden Schritt für Schritt durchgegangen. Die Post-its, die mit Kugelschreiber geschrieben wurden, haben wir nochmal vorgelesen und die anonymen Verfasserinnen für ihre Vorschläge gelobt. Einige Ergänzungen kamen auch spontan noch dazu. Auch für die Ausrede, für die keine Gruppe ein Post-It geschrieben hatte, bekam so spontan noch eine Lösung.
Am Ende war aus dem Flipchart eine bunte Lösungssammlung geworden – wir hatten also wirklich etwas als Gruppe erarbeitet und die Ideen und Kreativität der TN sichtbar gemacht. Das bestärkt das Gefühl, selber etwas zum Workshop beigetragen zu haben. Ihre Lösung wurde gesehen und hilft vielleicht sogar anderen?!
„Den anderen geht es genauso“
Durch das gemeinsame Besprechen haben die Teilnehmerinnen auch nochmal gemerkt, dass sie mit diesem Problem nicht alleine sind. Gerade bei Motivationslernzielen geht es nicht darum, rein technisch zu zeigen, *wie* etwas geht, sondern die psychologische Dimension mitzudenken: ermutigen, bestärken, Erlaubnis geben, Möglichkeiten aufzeigen…
Durch die Übung haben sie gemerkt, dass sie nicht die Einzigen sind, die mit so einem Problem kämpfen. Den anderen geht es auch so und wir können gemeinsam versuchen das zu lösen! Durch die Diskussion in Zweier- und Dreiergruppen kam es automatisch zu Austausch.
Wissen der Gruppe anzapfen
Last but not least: Klar hätten Yasmin und ich als Workshopleiterinnen natürlich auch für jede dieser Ausreden eine Antwort geben können. Aber wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen; und dank der Methode sind sicher noch einige Lösungsvorschläge dazugekommen, die wir nicht genannt hätten, wenn wir es als Vortrag gemacht hätten! sondern durch die Kraft der Gruppe sind jetzt einfach noch Lösungen gekommen, die wir als Vortrag nicht genannt hätten. Und das ist auch super kraftvoll, ganz, ganz vielen verschiedenen Settings und Themen.
Die Zeit für Methoden lohnt sich
Wäre es schneller gewesen, die Ausreden als Vortrag zu beantworten, statt die Bingo-Methode zu verwenden? Natürlich.
Wäre es genauso effektiv gewesen? Nein.
Es bleibt mehr hängen, es macht mehr Spaß, es ist dann ein wirklicher Workshop und nicht nur einen Vortrag.
Also als Fazit: Man kann alles als Vortrag rüber bringen; aber die Kunst ist, sich stattdessen zu überlegen wie man die Menschen in die Aktivität bringt, so dass sie sich die Inhalte allein oder in der Gruppe selber erarbeiten und uns nur als Anstuper brauchen.
Ich hoffe, dieser Einblick in unser Ausreden-Bingo hat euch gezeigt, dass es keine Raketenwissenschaft ist, sich eigene Methoden zu überlegen (oder sich an bestehenden Methoden zu bedienen und diese abzuändern) – und dass man in einem echten Workshop so oft wie möglich den Switch hin zu echter Aktivität machen muss.
Ich hoffe, ihr fandet den Einblick spannend. Antwortet mir gern auf die Mail.
LG von "Meine Flipchart-Handschrift ist hässlich, aber das ist okay"-Kato ✌🏻