Keiner kommt hier lebend raus.

Oct 17, 2024 8:02 am

„Du wirst hier Sachen erleben, die sich ein normaler Mensch nicht vorstellen kann.“

 

Der Satz kann eine Abschreckung sein - oder sehr anziehend. 


Hätte der Medizinstudent diesen Satz 6 Jahre vorher gehört, er wäre wieder gegangen. 


Der junge Arzt aber war sofort angefixt. 


Auf diese Aussicht auf Abenteuer und intensive Medizin. 


Intensive Medizin findet auf einer Intensivstation statt. 


Und genau dort hatte in der ersten Einarbeitungswoche nach dem Examen sein neuer Oberarzt ihn gewarnt vor dem und begeistert für das, was da kommen würde. 


Der junge Arzt lernte viel, arbeitete viel, forschte noch nebenher, schließlich war das eine Uniklinik. 


Er sah Krankheiten, die niemand in seinem Umfeld kannte, rettete Leben zu Uhrzeiten, an denen jeder vernünftige Mensch schläft. 


Der junge Arzt war irgendwann der Dienstälteste von allen jungen Ärzten auf der Station und sonnte sich in der Gewissheit, so viel zu wissen, zu können, zu leisten. 


Was er nicht sah, gar nicht so richtig wahrnehmen konnte, war die Bilanz. 


4 von 10 seiner Patienten starben an ihren schweren Erkrankungen, so ist das eben in der Neurologie. 


Von den 10 Betten auf seiner Station waren also ständig 4 mit einem Todgeweihten belegt. 


War nur bei Aufnahme noch nicht so klar. 


Das kristallisiert dann über die Tage, mal zeitig, mal dauert es Wochen. 


Wen nicht die erste Diagnose umbringt, dann die Komplikationen, die nicht weniger tödlich sind.


Das ist für so einen jungen Arzt sehr spannend! 


Wer sich so gut auskennt, den schreckt das alles nicht.


Wen es aber schreckt, das sind die Angehörigen.


Die so ungewohnte, so anstrengende Zwischenwelt zwischen Bangen und Hoffen und schließlich schmerzhafter Gewissheit.


Dass ihr Mann, Vater, Bruder, ihre Schwester oder Tochter nie mehr nach Hause kommen würde.


Zum Glück hatte der junge Arzt Schwestern um sich, Pfleger bei sich. 


Die ein Gefühl hatten für den Schmerz der Besucher. 


Die ihn dazu holten für technische Fragen, und die sich mit ihm in die Gespräche setzten, wenn es nicht mehr um technische Dinge ging. 


Wenn wir über - furchtbar nüchternes Wort - den „Verlust der Rettbarkeit“ sprechen mussten. 


Was da in größter zeitlicher Dichte passiert, manchmal innerhalb von wenigen Stunden, ist aber kein Ende der Behandlung. 


Es ist eine Änderung des Behandlungsziels. 


Nicht mehr kurativ - also nicht mehr mit dem Ziel der Gesundung, Heilung. 


Sondern palliativ - mit dem Ziel des Schutzes vor Leid.


Pallium - daher kommt das Wort palliativ - heißt Mantel.


Ein schützender Mantel soll diese Palliativmedizin sein, und es ist völlig konträr zu der eigentlichen Ausrichtung einer Intensivstation. 


Auch diesem Teil der ärztlichen Arbeit Leben zu geben, die eigene Betroffenheit wahrzunehmen, immer mehr als Mensch dem Menschen zu dienen, das lernte der junge Arzt erst, als er schon ein bisschen ein älterer Arzt war. 


Jetzt bin ich schon fast ein alter Arzt. Nicht mehr der junge, von dem ich Dir gerade erzählte.


Die Bilder von den „Sachen, die sich kein normaler Mensch vorstellen kann“ hängen wie alte Familienfotos in den verstaubten Winkeln meiner Erinnerung.


Inzwischen sitzen andere junge Ärzte und Pflegekräfte in den Gesprächen mit Angehörigen. 


Ich sehe nur noch die wenigen, die es aus der Intensivstation nochmal rausgeschafft haben.


Oder, die nie dort waren.


Weil sie lange vorher schon wussten, dass das nichts mehr für sie ist.


Die mit einer Verfügung ihre letzten Wochen geklärt haben. 


Die treffe ich dann zum Hausbesuch im Hospiz.

Oder zur letzten Untersuchung. 


Am letzten Wochenende war der Welt-Hospiztag.

Passend dazu habe ich einen Podcast für Dich.


Ein intensives Gespräch über loslassen, über Trauer, über das innere Wachstum, das danach möglich ist.


Ich spreche mit Karina Rüter, sie macht das hauptberuflich. 


Bei mir ist es nur ein kleiner Teil meiner Arbeit, mit Sterbenden und Toten umzugehen.


Aber es berührt mich.

Und besonders berührt bin ich, wenn Menschen am Ende ihres Weges klare Entscheidungen treffen.


Dass sie nicht mehr auf einer Intensivstation landen wollen. 


Dass sie nicht mehr verzweifelt klammern wollen an den Versprechungen einer technischen und oft vergeblichen Medizin.


Sondern dass sie ihre Liebsten um sich haben wollen.


Ihre Würde behalten. 


Die Würde, selbst zu entscheiden, wann es gut ist.


Kein Call-to-Action heute.


Nur zwei Links für Dich.


Einmal zu der Podcast-Folge.


hier die Folge anhören

 

Und einen zu einer Vorlage des Bundesministeriums der Justiz für gut formulierte Patientenverfügungen.


hier kannst das .doc runterladen


Du brauchst zum Ausfüllen und Unterschreiben keinen Anwalt oder Notar.

Du brauchst nur Zeit und etwas Klarheit. 


Denn:

die Entscheidungen am Ende des Lebens fallen leichter, wenn sie vor dem Ende des Lebens schon durchdacht wurden.


Ungemütliches Thema.


Mach es zu Deinem.


Führe das Gespräch mit den Menschen, die Dir wichtig sind. Und heute ist dafür ein besserer Tag als Morgen.


Dein Christoph

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