untitled-Newsletter 22

Dec 01, 2025 10:31 am

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Hallo werte Leserschaft,


es ist Dezember und es geht mit großen Schritten auf das Ende des Jahres zu. Bis dahin begleiten uns unzählige Adventskalender, wie auch mein musikalischer für mein Zine »Im Winter …« für den Zine-Tausch-Adventskalender von Zines.cool. Viele von euch haben wahrscheinlich heute schon ihr erstes Adventskalendertürchen geöffnet – und jetzt diesen Newsletter, mit Gedanken und Links bis zum nächsten Jahr.


Fragmente

Ende Oktober, also kurz vor dem letzten untitled-Newsletter, kündigte Canva das neue Affinity Studio an. Affinity waren bzw. sind Design-Programme, die vor einigen Jahren mit dem »alten« Ansatz von Software angetreten sind: »einmal kaufen, ein Leben lang nutzen«. Damit positionierten sie sich klar gegen Adobe und deren Abo-Modell für Photoshop und Co. Anfang letzten Jahres kaufte Canva dann Serif, die Firma hinter Affinity. Vor einigen Wochen ging dann der Shop für die Affinity-Programme offline und nun ist die neue Version von Affinity da: Affinity Studio. Und sie kostet nichts – »free forever«, wie Canva behauptet.


Der Canva-Mitgründer und Chief Product Officer Cameron Adams behauptet im Video »How Is Affinity Now Free?« nun einmütig »there is no catch«, aber ich habe schon zu viele Versprechen von Tech-Unternehmen gehört, dass etwas »free forever« sei und zu viel erlebt, als das ich dies glaube. Die Sache hat einen Haken. Und dafür muss ich noch nicht mal so weit gehen und sagen »if it’s free, you’re the product«, denn nach der Installation von Affinity Studio muss man sich bei Canva anmelden, um die Software überhaupt öffnen zu können. Also selbst wenn das Programm für immer kostenlos ist, wenn irgendwann die Canva-Server abgeschaltet werden, dann kann man sich nicht mehr anmelden und die Software öffnen. Keine Server, keine Software, selbst wenn das Programm auf deinem Rechner installiert ist.


Darüber hinaus behauptet er, dass keinerlei Daten der User abgegriffen oder für KI-Trainings verwendet werden. Aber wie kann dann eine professionelle Design-Software, die professionell entwickelt wird, kostenlos sein? Michael Janda stellt treffend in der Podcast-Episode von What The Helvetica fest, dass das kostenlose Affinity Studio ein Werbegeschenk ist. Seiner Interpretation nach für die Pro-Accounts bei Canva, um auch die AI-Tools in Affinity Studio nutzen zu können, damit man als Designer:in auch mit den AI-Tools von Adobe mithalten kann. Cameron Adams behauptet im oben genannten Video, Affinity Studio als Einfallstor in Firmen zu nutzen, da durch die nahtlose Integration zu Canva die Übergabe aus den Design-Teams an andere Abteilungen, die vielleicht sogar schon Canva nutzen, einfacher wird. Vermutlich ist beides richtig, letzteres passt aber deutlich besser zur erklärten Geschäftsstrategie von Canva zum »Creative Operating System« zu werden.


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Affinity Studio selbst ist dabei eine hervorragende Software. Der Ansatz, die bisher drei eigenständigen Programme Affinity Designer (vergleichbar zu Adobe Illustrator), Affinity Photo (vgl. Adobe Photoshop) und Affinity Publisher (vgl. Adobe InDesign) in einem Programm zu vereinen und diese als verschiedene Modi anzubieten ist großartig, da alle Programme z. T. ähnliche Funktionen anbieten. Funktionen sind dadurch einheitlich und Workflows sind deutlich schneller, wenn ich bspw. bei meinen digitalen Collagen wie dem Heilgoland-Poster nicht zwischen drei Programmen und mehreren Dateien wechseln muss, sondern alles in einer Datei und einem Programm habe. Zudem ist die User Experience (UX) deutlich besser, da sich Affinity nicht mit fast 40 Jahre alten Altlasten, Workflows und User-Gewohnheiten herumschlagen muss. Für mich ist die UX von Affinity Studio tatsächlich dass, was ich mir bei Adobe vom Wechsel von der Creative Suite zur Creative Cloud gewünscht habe: Alte Zöpfe abschneiden, Funktionen vereinheitlichen und vereinfachen. Affinity Studio fühlt sich für mich leichter und einfacher an, auch wenn es seine eigenen Eigenheiten und Quirks hat. Ich habe es auch schon für erste Projekte genutzt und es macht mir auf einem ganz anderen Level Spaß.


Aber, der fade Beigeschmack der Abhängigkeit bleibt. Die Software ist großartig, aber wenn Canva ihre Meinung ändert, dass »free forever« doch nicht »forever« ist oder die Login-Verbindung zu Affinity Studio kappt, dann ist man auch ausgesperrt. Wirklich frei ist eben nur Open Source und das ist Affinity Studio nicht – leider.


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Die lautere Wahrheit

Die ganze Unwahrheit
setzt sich aus lauter ganz wahren
Wahrheiten
oder
Teilwahrheiten zusammen

Nur haben sich die
miteinander
noch nie ganz
auseinandergesetzt

So ist die ganze
Lüge
möglich geworden

– Erich Fried


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In letzter Zeit lese ich häufiger wieder Lyrik, im Moment vor allem von Erich Fried. Dabei bin ich immer wieder erstaunt und erschrocken, wie gut seien Gedichte auch auf die aktuelle Zeit passen.


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Beim nachdenken über das Gedicht, keimte in mir der Gedanke, dass es auch eine gute Parabel für generative KI ist: Die KI-Modelle, egal ob ChatGPT, Sora oder Google Nano Banana, wurden mit Wahrheiten oder Teilwahrheiten, mit Werken von Menschen, trainiert. Und am Ende steht die ganze Lüge: maschinell generierte Inhalte aus statistischen Wahrscheinlichkeiten, die plausibel wirken.


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Am Freitag war wieder der berüchtigte Black Friday und heute ist Cyber Monday – die beiden hohen Feiertage des Konsums. Im Podcast Follow The White Rabbit sprachen Zukunftsforscher Johannes Kleske und Brand-Berater Igor Schwarzmann über die »economy of little treats«, also die Markt(wirtschaft) der kleinen Vergnügen – »man gönnt sich ja sonst nichts …« Sie versuchen zu ergründen, woher dieser Trend kommt, sich kleinere aber dafür teurere Dinge zu kaufen, egal ob Labubus, Dubai-Schokolade, Crumble Cookies oder Urlaube, teure Luxus-Hygieneartikel oder -Haushaltswaren. Dabei beschreiben sie die jüngeren Generationen als »rich in cashflow, poor in assets« – die jüngeren Generationen hätten also mehr Geld für Konsum, aber wenig Vermögen. Häuser, Autos oder andere große Anschaffungen sind außerhalb der finanziellen Reichweite oder zählen nicht mehr zu den Insignien des eigenen Status. Und so wird das eigene Einkommen für kleinere Güter aufgewendet. Hinzu kommen sozialer Druck durch Social Media und Dopamin-Kicks durch den Kauf, das Öffnen von Mystery-Boxen, wie bei Labubus, sowie dem Teilen von Unboxing-Videos auf Social Media. Entsprechend nennen sie dies auch eine »dopmain culture« mit ihren Mikro-Momenten, in denen das Dopamin freigesetzt wird. Nicht umsonst ist »Dompain Detox« bzw. Dopamin-Fasten seit einiger Zeit ein Gegen-Trend.


Auch ich bin Teil dieses sozio-kulturellen Systems und kann mich davon nicht frei machen, besonders wenn Dinge meinem Geschmack entsprechen oder wenn ich die eine, teurere Notizbuch-Marke bevorzuge. Dennoch kann es sich lohnen inne zu halten und sich zu fragen, ob man das kleine »Treat« oder das nächste »Shiny Thing« wirklich braucht. @potchiware hat dazu ein passendes Zine gemacht: Stop Buying Things. Darin beschreibt sie genau das Problem mit den »little treats« und gibt Tipps und Inspiration für weniger Konsum.


Randnotizen

📼 AI oder echt? #1 + 📼 AI oder echt? #2: Die Influencerin Zoe Libella hat zwei Videos produziert, in denen Teile durch KI eingefügt oder ersetzt wurden. Die meisten Manipulationen sind kaum zu erkennen. Bei der Diskussion um KI und Videos geht es meist vor allem um komplett KI-generierte Videos und wenig um Manipulation von bestehenden Videos. Bis aber die KI-Tools so gut sind und längere, überzeugende Videos komplett zu generieren, dürfte die Manipulation von bestehenden Videos durch KI eine größere Gefahr sein.


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🎙️ Übermedien: Holger ruft an … wegen Synchron-KI: Holger Klein spricht im Übermedien-Podcast mit dem Synchronsprecher Sven Plate, der u. a. Bugs Bunny und Wil Wheaton synchronisiert und dessen Stimme mir auch direkt durch unzählige Hörspiele bekannt vor kam. Ausgehend vom aktuellen Beispiel der Synchronisation von Pumuckl im neuen Film, der Mithilfe von KI so klingt wie der lange verstorbene Sprecher Hans Clarin, diskutieren Klein und Plate über die ethischen und sozialen Fragen von Synchronisation mit KI und streifen schnell fundamentale Fragen: Wem gehört eine Stimme? Wie einzigartig ist eine Stimme? Wer darf eine Stimme nutzen? Ebenso sprechen sie über die Frage der Hörgewohnheiten bei KI-Stimmen: Wir sind diese bis heute kaum gewöhnt und die bisherigen künstlichen Stimmen klangen immer sehr holprig, aber auch diese werden besser und Kinder wachsen mit diesen künstlichen Stimmen auf. Ebenso wie sich die Seh- und Lesegewohnheiten mit KI-generierten Bildern, Videos und Texten sich verändern werden. Wir sind gerade in der Umbruchphase und kennen noch ein davor und danach und suchen noch nach Anhaltspunkten für das Künstliche; Kinder und folgende Generationen wachsen mit diesen Inhalten auf und für sie ist dieser Status Quo das Normal. Hier lohnt es sich also darüber zu streiten, wie viel künstlich generierte Inhalte wir dulden.


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📼 NDR: Wie geht das? Ein Atomkraftwerk zurückbauen: Mit dem Ende der Atomkraft in Deutschland wurde ein wichtiger Schritt weg von dieser Technologie gegangen, aber die Folgen und Spätfolgen werden uns noch lange begleiten und weiter kosten verursachen. In dieser Reportage besucht der NDR das AKW Unterweser in der Nähe von Bremerhaven und zeigt, wie minutiös und aufwendig der Rückbau eines Atomkraftwerks ist.


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📝 OpenPetition: Aufbau statt Abbau – für den Erhalt des Studiengangs Architektur an der BUW: Im letzten Newsletter war es schon kurz Thema: Durch die Einsparungen der Landesregierung in NRW soll an meiner Heimat-Uni in den nächsten Jahren der Architektur-Studiengang wegfallen. Dabei ist Architektur eine wichtige Disziplin für eine sozialen und ökologischen Wandel, da diese wortwörtlich unsere Lebens-Räume bestimmt und viele Ressourcen vereinnahmt. Gerade der Architektur-Studiengang in Wuppertal hat sich den Themen Umbau und Ressourcenschonung verschrieben und 2021/2022 sogar den renommierten Solar Decathlon Europe ausgerichtet, bei dem es erstmalig um Ressourcenschonendes Bauen im urbanen Kontext ging. Einige der gebauten Prototypen blieben sogar als Living Lab NRW in Wuppertal stehen, um die Konzepte auf ihre langfristige Tauglichkeit zu prüfen. Die Architects For Future haben zudem einen offenen Brief an das Rektorat der Bergischen Universität Wuppertal für den Erhalt des Studiengangs geschrieben. Tut mir einen gefallen und nehmt euch 1 Minute Zeit um die Petition für den Erhalt zu unterschreiben.



Musik zum Ausgang

Anfang des Monats erschien die Podcast-Folge von zines.fm in der ich zu Gast sein durfte. Und da Musik sowohl in meinen untitled-Zines als auch hier eine Rolle spielt, durfte ich Jenni am Ende noch einen Album-Tipp für ihre »An Album A Week«-Challenge mitgeben. Nach etwas ringen entschied ich mich für »Wreckage« von Overseer (Spotify). Jenni hat ihre Eindrücke zum Album in ihrem Blog hinterlassen und den Song Velocity Shift (Spotify) zu ihrem Lieblingssong des Albums gekürt. Zugegeben, eine überraschende Wahl für mich, da der Song zu den raueren und schnelleren Breakbeat-Stücken des Albums zählt und mit seinen Samples an die Rave-Musik der 1990er erinnert. Nichtsdestoweniger landet er somit auf der Playlist zum Newsletter.


Nachwort

Es ist nun später Nachmittag und es dämmert schon; gleich wird es schon wieder dunkel. Aber bald ist schon wieder Wintersonnenwende und dann werden die Tage langsam wieder länger. Bis dahin müssen wir aber noch durch die trübe Jahreszeit. Wir machen uns Licht und diese Jahreszeit erträglich. Auf Instagram werde ich es dieses Jahr wieder mit meinem musikalischen Adventskalender tun. Begleitet mich dort gerne.


Beste Grüße

Arne

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