untitled-Newsletter 13

Mar 01, 2025 10:01 am

image


Hallo werte Leserschaft,


bevor es in die Untiefen der Welt geht und auch die Elefanten im Raum – die Bundestagswahl und die Lage der Welt – betrachtet werden, möchte ich mich freuen und bedanken: Vor einem Jahr, am 01. März 2024, erschien die erste Ausgabe des untitled-Newsletters! Jetzt ist es schon die 13. Ausgabe und ich freue mich über euch, die kleine, aber stetig wachsende Leserschaft, und über eure Rückmeldungen und den Austausch! Ein großes Shoutout muss ich an dieser Stelle Jenni und ihrem Newsletter geben (abonniert ihn, denn er ist sehr gut): Ohne ihren stetigen Support wäre der Newsletter nicht da, wo er jetzt ist. Danke!

Und ich freue mich über den Support, den ich auch von anderer Stelle für diesen Newsletter erhalte und darüber, dass ich ihn über ein Jahr lang am 1. des Monats abgeliefert habe, egal ob ich krank war oder – wie jetzt, – mitten in einer heißen Projekt-Endphase bin, während gerade ein weiteres Projekt beginnt. Und noch mehr freue ich mich darüber, dass ihr ihn lest und anscheinend auch gerne lest: Danke!


Fragmente

Und manchmal liest man etwas und es passt perfekt auf den Moment. Am Montagmorgen, nach der Bundestagswahl, las’ ich wieder weiter in Haruki Murakamis »Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt« und stolperte über folgende Stelle:


»Die Erschöpfung darf sich nicht in der Seele breitmachen«, sagt sie. »Das hat meine Mutter immer gesagt. Körperlich darf man sich ruhig verausgaben, aber seine Seele muss man davon freihalten.«


Das ist »Self-care ist Widerstand« mit deutlicheren Worten: Die nächsten Jahre werden anstrengend für progressiv denkende und empathisch fühlende Menschen – nicht, dass die letzten Jahre, insbesondere die letzten fünf, nicht schon anstrengend genug gewesen wären. Um so wichtiger ist es, resilient zu werden und zu bleiben.


»Flood the zone with shit«, sagte Steve Bannon, der ehemalige Chef-Stratege von Donald Trump: Die Medien und damit die Menschen überfordern und verwirren, sodass sie nicht mehr wissen, was wahr ist und wo sie anfangen sollen sich zu widersetzen oder gelähmt sind zu handeln. Und die großen Medienhäuser spielen gerne dabei mit, indem sie über jedes Stöckchen springen, dass ihnen vor die Füße geworfen wird – ja, es ist alles krass und absurd, aber es braucht Raison und einen klaren Kopf, Einordnung und Kontext, um zu verstehen was gerade alles passiert. Und hier kann Verlangsamung ein Weg sein.


Verlangsamen, Hinauszögern, Aufschieben können Formen des Widerstands sein. Dinge nicht direkt zu tun, sie erst liegen zu lassen, noch mal gut darüber nachzudenken, kann Widerstand sein. Nicht einverstanden sein, kann Widerstand sein. Gegenrede, Bedenken äußern, kann Widerstand sein. Lasst’ uns widerständig sein gegen rechte Narrative.


An dieser Stelle möchte ich euch die »12 Regeln für erfolgreichen Widerstand« aus Harald Welzers »Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand« empfehlen sowie Arne Semsrotts »Machtübernahme: Was passiert wenn Rechtsextremisten regieren – Eine Anleitung zum Widerstand« (steht noch auf meiner Leseliste).


~


Seit ein paar Tagen wird dieser erschreckende und sehr gut gemachte interaktive Text durch meine Bubble gereicht: Schon wieder – Der Aufstieg der NSDAP/AfD.


Darin werden die historischen Parallelen zwischen dem Aufstieg der NSDAP ab den 1920er Jahren und der AfD ab den 2010er Jahren gegenübergestellt – nein, verschmolzen: Von der Partei-Gründung, über die Pandemie, der Übernahme der rechten Narrative durch andere Parteien, die vergeblichen Versuche der konservativen Parteien, die sich dadurch zum Steigbügelhalter machen – die Parallelen sind frappierend. Geschichte wiederholt sich aber nicht und es ist heute nicht alles wie vor fast 100 Jahren, dennoch der Tabu-Bruch der CDU Ende Januar und nun die kleine Anfrage zur Diskreditierung von ziviligesellschaftlichen Organisationen sind ein Spiel mit dem Feuer.


Darüber hinaus halte ich diese Seite, trotz des einfachen und trockenen Designs, für eine großartige Umsetzung von interaktivem Text, die perfekt das Medium ›Web‹ nutzt. Es ist ziemlich simpel, aber deswegen so gut.


~


Auf YouTube sah ich kurz hintereinander ein Video-Essay und einen Kurzvortrag, die wieder zwei Versatzstücke zusammenbrachten und ein Bild – oder zumindest ein Bildfragement – ergaben: Steward Hicks erklärt in seinem Video-Essay »How Caulk Accidentally Killed Ornamental Buildings« wie die technische Innovation von (synthetischer) Dichtungsmasse überhaupt erst den modernen Baustil ermöglichte, wie er sich u. a. im Internationalen Stil ausdrückt, wie beim UNO-Hauptquartier in New York. Im Kurzvortrag von Caroline Fiechter auf der Tagung »Identität der Architektur« zum Thema »Funktion und Form« geht es aus ästhetischer Sicht um den Verlust von Form zugunsten einer (vermeintlichen) Funktion bzw. Zweckoptimierung. Beides Beschreibt den Verlust von Kontext und Detail aus zwei verschiedenen Perspektiven: aus technischer Innovation und aus ästhetischer Ideologie. Beide Videos habe ich in meinen Notizen unter der provokanten Überschrift »Entformung der Umwelt« zusammengefasst: Einem Verlust von Detail, Ornament und Kontext.


Seit einiger Zeit treibt mich die Frage nach dem Sinn von Ornamenten um: Welchen Sinn bzw. Zweck haben sie, außer Schmuck zu sein? Aus meiner Sehgewohnheit und meiner Design-Ausbildung komme ich aus einer Tradition der Moderne, einem »less is more«; mein ästhetisches Empfingen ist also modern geprägt, gleichzeitig liebe ich aber auch die Details der Gründerzeitgebäude.

In der Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Ornamenten gibt es für mich deshalb im Moment zwei zentrale Aspekte: 1. Kontext: Das zitieren oder integrieren von historischen, lokalen oder thematischen Elementen, um sich einzufügen oder eine Zugehörigkeit zu vermitteln; und 2. visuelle Struktur: Das Gliedern, Aufteilen bzw. Unterteilen und Leiten, um den Blick und die Aufmerksamkeit zu führen oder Orientierung zu bieten. Hinzu kommen weitere Aspekte wie Funktion, z. B. als Wasserablauf oder Witterungsschutz.


Mir scheinen diese beiden ersten Aspekte aber beim Ornament zentral zu sein, weshalb ich bei einem Fehlen von Ornamenten von »Entformung« sprechen würde: Eine Reduktion auf reine Funktion, mit minimaler Form. Plakativ wird dies für mich bei den Fassaden von aktuellen Ein- und Mehrfamilienhäusern: Fehlen jedes Kontexts, eine beinahe absolute Ortslosigkeit, minimale visuelle Gliederung, auf denen der Blick keinen Halt mehr findet.


Das Gegenteil, das Ornament als reiner Schmuck, scheint mir hingegen Kitsch zu sein. Vielleicht ist auch die Abwesenheit von Ornamenten, von Kontext und visueller Struktur, in der Fassadengestaltung von aktuellen Ein- und Mehrfamilienhäusern auch ein »Kitsch der Moderne« – eine Überhöhung der Orts- und Kontextlosigkeit, eine Verklärung der Moderne, »moderne« Architektur für die Massen – und somit kitschig.


Aber das sind alles nur Thesen. Wahrscheinlich ist mein Blick auf das Ornament noch zu naiv und unwissend. Es bleibt aber eine Frage, die mich noch weiter umtreibt. Über weitere Denkanstöße und Literaturhinweise dazu freue ich mich sehr.


Randnotizen

  • Warum StudiVZ und SchülerVZ scheiterten: Das Medienmagazin ZAPP vom NDR geht auf die Spurensuchen von den Anfängen von StudiVZ und SchülerVZ, wie sie fast von Facebook gekauft worden wären und ihrem Niedergang.
  • Facebook & Content Moderation: Content-Moderation in Social Media ist hier auch immer mal wieder Thema (zuletzt im letzten Newsletter) und nun hat sich auch John Oliver von Last Week Tonight dem Thema angenommen und zeigt in unterhaltsamer Late-Night-Show-Manier warum die Wende von Mark Zuckerberg eine katastrophale Änderung ist.
  • A Guide To Getting Rid Of Almost Everything: Entrümpeln, Aussortieren, Ausmisten – und wohin dann mit dem ganzen Zeug? Dieses Essay aus dem New Yorker widmet sich dieser Frage und gibt natürlich Antworten, die überwiegend auf die USA zutreffen, aber dennoch sind ein paar gute Ideen dabei. Dazwischen sind aber auch interessante Gedanken zum Konsumfetisch unserer Zeit. Bei diesem Zitat fühlte ich mich etwas ertappt: “Maybe we buy as much stuff as any other generation, but much of it is digital—in-app purchases or memberships or things to be stored in the cloud,” he said. “This allows us the illusion of being minimalist. We’ve substituted spiritual clutter for stacks of paper.”
  • How Oil Propaganda Sneaks Into TV Shows: Climate Town nimmt sich, ebenfalls in gewohnt unterhaltsamer Manier, die Propaganda der Öl-Konzerne in TV-Serien vor, am Beispiel der Serie »Landman«.
  • Honest Government Ad: Our Nuclear Plan: Apropos fossile Energieträger: In diesem satirischen Werbevideo über die Pläne der australischen Regierung (neue) Kernkraftwerke bauen zu wollen, steckt ein Gedanke, den ich so vorher noch nicht gehört habe: Dass der Bau von Atomkraftwerken ungeheuer teuer ist und absurd lange dauert, ist hinlänglich bekannt. Strom aus Atomkraftwerken ist u. a. deshalb der teuerste – warum also wollen viele Länder also wieder Atomkraftwerke? Als Strohmann gegen die erneuerbare Energien: Denn solange man Atomkraftwerke baut oder Umweltschützer damit beschäftigt gegen solche zu rebellieren, kann man weiter Öl und Gas verbrennen – denn man braucht sie ja als Übergangstechnologie, bis das Atomkraftwerk mal fertig ist.
  • Diesen Monat habe ich tatsächlich zum ersten Mal bewusst generativ KI in meinen Workflow integriert und zwar um Mockup-Daten für Screendesigns zu erstellen – eine Technik, die man bei der NNgroup auch Promptframes nennt. Und ich muss sagen, das ist wirklich eine Erleichterung mir nicht selbst ein dutzend Firmennamen für ein Screendesign ausdenken zu müssen, sondern mit ein paar guten Beschreibungen einigermaßen glaubwürdige Namen und Inhalte zu bekommen – auf die Richtigkeit der Inhalte kommt es hier auch nicht an. Darüber hinaus ist Lernen, Wissen, Denken wichtig – oder wie Hypertexthero es in Writing, Drawing, Thinking schreibt: »To think clearly, come up with new ideas, make and truly understand things, we need to put marks on the blank page ourselves, and not only repeat what teachers or textbooks tell us […]«


Musik zum Ausgang

Anfang des Monats fand ich den düster-atmosphärischen Track »Crow« von Forest Swords (Bandcamp, Spotify) und er resonierte direkt mit mir und begleitete mich durch den Monat und landet deshalb auch auf der Playlist zum Newsletter. Zum Track gibt es auch noch ein dystopisches Video von Liam Young, mit einem spekulativen Gebäude in einem futuristischen Athen, dass an die Kowloon Walled City erinnert.


Nachwort

Während draußen der Sturm der Welt tobt, ziehe ich mich hin und wieder zurück, um Kraft zu tanken: mit Musik, mit Lesen, mit dem Schauen von YouTube-Videos oder mit dem (grafischen) Experimentieren, wie oben mit dem untitled-Logo als 1-Bit-Pixel-Grafik . Bleibt resilient und stabil!


Beste Grüße

Arne




PS: Me right now …

Comments