untitled-Newsletter 12

Feb 01, 2025 3:13 pm


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Hallo werte Leserschaft,


was war das wieder für ein Jahresanfang? Die letzten vier Wochen waren wieder so dicht mit sich überschlagenden Nachrichten, dass sich die Wochen wie Monate anfühlten. Manches davon, wie der kontinuierliche Bullshit aus den USA, ist Strategie, die die Schwächen eines Klicks-orientierten Horse-Race-Journalismus ausnutzt; manches davon ist ein Strudel, der uns möglicherweise in einen Abgrund reißt. Wir leben in spannenden Zeiten und die Geschichte ist doch noch nicht zu Ende, Fukuyama. Nun es liegt an uns, die Zukunft zu bestimmen.


Fragmente

Eigentlich hoffte ich, ich käme in diesem Newsletter mal um das Thema KI herum, aber dann, kurz nach der Amtsübernahme von Donald Trump, erschüttert ein neues KI-Modell aus China die KI-Welt und die Börse: DeepSeek-R1. Es soll mit deutlich weniger Strom-Verbrauch, weniger Hardware und weniger Trainingsdaten die gleiche Leistung bringen wie aktuelle ChatGPT-Modelle. Computerphile erklärt grob worin sich DeepSeek von anderen KI-Modellen unterscheidet und wie es zur Effizienzsteigerung kommt.


Meine Verschwörungstheorie – oder, wie Holgi aus der Wochendämmerung sagen würde: Arbeitshypothese: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung des KI-Modells ist kein Zufall, kurz nachdem Trump das Projekt »Stargate« verkünden durfte – einem massiven, 500 Milliarden USD schweren, Investitionsboost in KI-Infrastruktur und speziell OpenAI. Dadurch geraten gerade die überbewerteten KI-Firmen ins Wanken und die Blase bekommt erste Risse.


Schnell machte auf Social-Media die Meldung die Runde, dass man DeepSeek nicht nach dem Ereignis am 4. Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz fragen kann. Nachdem nun Google Maps den Golf von Mexiko für die USA in den »Golf von Amerika« umbenannt hat, frage ich mich, was wohl ChatGPT sagt, wenn man es nach dem Ereignis am 6. Januar 2021 am Capitol in Washington fragt – und wie lange es diese Antwort wohl noch gibt?


Nachdem die CEOs der große Tech-Konzerne der USA – ausschließlich Männer – den Knicks vor Donald Trump gemacht haben, blicke ich pessimistischer auf die Zukunft des Internets und mein Vertrauen in die, die die technische Basis dafür zur Verfügung stellen, schwindet. Vor einigen Jahren habe ich einen Blog-Beitrag angefangen, der es bisher nicht über einen groben Entwurf hinaus geschafft hat, aber den sprechenden Titel trug: »How I Stopped Worrying And Start Loving The Cloud«.


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Die, für mich persönlich, viel erschütternde Bombe ließ Anfang des Monats Marc Zuckerberg platzen: In einem, durch seinen neuen Bro-Look bizarr wirkenden, Video kündigt Zuckerberg hemdsärmelig an, Meta werde nun Content-Moderation verringern und damit eine vermeintliche Zensur beenden – und das bei. Facebooks. Track Record. »Das ist schlecht. Das ist richtig schlecht.« war meine erste Reaktion.


Und mit dieser Einschätzung war ich nicht allein: Der Trust- & Safety-Sektor – also die Personen und Firmen, die sich um (Content-)Moderation auf Plattformen wie Facebook kümmern – geriet in Aufruhr. Denn, so sagt Kelly Klonick, eine T&S-Expertin, im Gespräch mit The Intercept im Artikel Leaked Meta Rules: Users Are Free To Post “Mexican Immigrants Are Trash!” Or “Trans People Are Immoral”:

“The reason many of these lines were drawn where they were is because hate speech often doesn’t stay speech, it turns into real-world conduct […].”


So auch die Journalisten Lagipoiva Cherelle Jackson über ihre Erfahrung aus Samoa:

We have lived with the consequences of rampant misinformation on Facebook for years—it's resulted in teen suicide, violence, political turmoil, banishment of village Chiefs, severe threats against journalists, especially women journalists and and women political leaders.


Das heuchlerische dabei ist, dass die vermeintlich zu strengen und komplizierten Regeln zum einen nicht nur aus guten Gründen existieren, sondern zum anderen auch selbst auferlegte Regeln sind: Facebook, Instagram, Twitter/X und Co sind halb-öffentliche und private Räume. Sie gehören Firmen und diese Firmen können über das Gebaren in ihren Räumen bestimmen und nach eigenem Ermessen durchsetzen – natürlich im Rahmen der geltenden Gesetze. Oder, wie Alice Hunsberger vom Newsletter Everything In Moderation schreibt:

Trust & Safety is how companies put their values into action. It is impossible for any platform to be truly “neutral”— the tensions between user privacy, safety, and expression (and, frankly, social discourse around how to define them) mean that we must make tradeoffs every day that show what a company cares about and what they want to see more of on their platform.
[…]
However, I’m frustrated at the sleight-of-hand that Zuckerberg is trying to pull off: he used words like “free speech” and “simplifying” to make his moderation changes sound reasonable and positive (even neutral) when they’re anything but.


Khesrau Behroz und Patrick Stegemann stellen in ihrem Podcast NOISE zu recht fest, dass Marc Zuckerberg uns nun alle zu Opportunisten macht, wenn wir weiterhin seine Plattformen nutzen (ca. Minute 40). Aber es ist nicht leicht, eine Plattform zu wechseln, wenn man Teil einer Community oder eines Netzwerks ist. Der Netzwerk-Effekt zieht Menschen nicht nur auf eine Plattform, er hält sie auch dort.


Und so ist auch für mich, trotz des nun nochmals massiven Vertrauensverlusts in die Meta-Plattformen Instagram und WhatsApp, ein Wechsel zu Alternativen schwer. Die Frage ist auch immer: Wohin? Zu Bluesky? Pixelfed bzw. ins Fediverse? Signal? Ich habe alles, aber der große Schwung bleibt noch aus und mehrere Plattform zu checken ist anstrengend, das habe ich in den letzten Monaten zwischen Mastodon, Bluesky und Threads gemerkt. So bleibe auch ich noch Opportunist – aber nun sind Instagram und WhatsApp für mich endgültig angezählt.


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Was ist da eigentlich los? Warum knicken plötzlich alle großen Tech-Konzerne der USA vor Donald Trump und den Republikanern ein? Und warum driften plötzlich alle vermeintlich liberalen Tech-Konzerne des kalifornischen Silicon Valley in die rechte Ecke ab? Manchmal kommt man mit Begriffen bzw. Theorien in Berührung und plötzlich ergibt alles einen Sinn. So erging es mir diesen Monat mit dem ›Cyber-Libertarismus‹ bzw. ›Techno-Libertarismus‹ – von Facebook über Bitcoin und KI bis zum Metaverse erklärt es vieles sehr gut, bei dem ich mich bisher immer fragte, warum man mit einer solchen Rücksichtslosigkeit den technologischen Fortschritt pusht – »move fast, break things«. Die Idee des Cyber-Libertarismus erklärt sehr gut, was ich bisher immer versucht habe mit unscharfen Begriffen wie ›Silicon-Valley-Mentalität‹, einer entgrenzten Technologiegläubigkeit oder einem blinden Fortschrittsglauben zu beschreiben, die aber nie richtig den Kern trafen.


Der Libertarismus – nicht zu verwechseln mit dem gemäßigtem Liberalismus – ist eine philosophische und politisch-ökonomische Ideologie, die die persönliche Freiheit als den wichtigsten Wert ansieht. Autonomie, politische und finanzielle Freiheit und Individualismus werden angestrebt. Dabei ist es egal, wie diese Freiheit erlangt wird: als Individuum, als Kollektiv oder als Firma, solange es nur nicht der Staat ist. Es gibt im Libertarismus auch verschiedene Strömungen, die sich zum Teil widersprechen, aber eine grundlegende Ablehnung des Staates und seiner Institutionen sind allen eigen.


Im Cyber-Libertarismus steht der Glaube im Mittelpunkt, diese Freiheit durch Technologie und das Internet zu erreichen. Und hier scheinen Cyber-Libertäre wie Elon Musk nun Morgenluft zu schnuppern und verbünden sich mit einem Donald Trump, der verspricht den Staat zu schmälern und dessen Institutionen abzuschaffen, die dann durch privatwirtschaftliche Firmen ersetzt werden. Die Verteilung von Wohlstand wird dabei weiter »von unten nach oben« erfolgen, aber da ja »jeder seines eigenen Glückes Schmied ist« muss man nur den »amerikanischen Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär« verwirklichen.

De-Regulierung, »Freedom Of Speech« und das pushen von subversiven Technologien wie Blockchain passen hier perfekt ins Bild. Auf Blockchains, also dezentralen Computer-Netzwerken, in denn sich keiner mehr Vertrauen muss, bauen dann Strukturen auf, die eigentliche ein Staat übernimmt: Crypto-Währungen wie Bitcoin ersetzen Währungen, NFTs und Smart Contracts regeln Eigentumsverhältnisse und Verträge und DAOs ermöglichen und regeln kollektive Entscheidungen. Auch das Vorantreiben vom Metaverse, VR und KI ergeben aus dieser Perspektive einen Sinn, der über das Erobern neuer Frontiers zur weiteren Kapitalakkumulation hinaus gehen.


Daran lässt sich der Ansatz des Neo-Feudalismus anschließen, der davon ausgeht, dass sich große Firmen – wie die großen Fünf der Tech-Branche (Google, Apple, Meta/Facebook, Amazon und Microsoft) – durch Akkumulation von Kapital und Macht zu feudalen Strukturen ausbilden, mit Milliarden schweren CEOs an der Spitze, die keiner demokratischen Legitimation folgen und in ihrer Macht Nationalstaaten ebenbürtig sind.


Wie bei allen Theorien, Begriffen oder Ideen, die plötzlich vieles gut – vielleicht zu gut – erklären, ist Vorsicht angebracht, um nicht einem Verschwörungsmythos aufzusitzen. Und so bewahre ich mir eine kritische Distanz, während ich mich weiter mit dieser Ideologie beschäftige, die uns in einen (digitalen) Abgrund reißen kann.


Meine Leseliste:



Randnotizen

Nach den ganzen schweren Gedanken, nun etwas mehr Zerstreuung in den Randnotizen:


  • IMG_0001: Zwischen 2009 und 2012 gab es in der Photos-App auf dem iPhone einen Button, mit dem schnell Videos bei YouTube veröffentlichen werden konnten. Diese Website hat eine Liste von über 5 Millionen dieser Videos, durch die man durchzappen kann – und mache dieser Videos hat noch nie jemand zuvor gesehen … (via Tobias.)
  • nonflowers: Auf dieser Website des Künstlers Lingdong Huang werden durch einen Algorithmus (prozedual, nicht KI) Blumen-Illustrationen im chinesichen Gongbi-Stil generiert. Einfach. Schön.
  • Die Rhetorik der Rechten: Franziska Schutzbach hat ihr Buch »Die Rhetorik der Rechten: Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick« aus aktuellem Anlass (und weil es derzeit vergriffen ist) als kostenlose PDF veröffentlicht. Ich habe bisher nur kurz punktuell reingelesen, möchte es euch aber schon einmal empfehlen.
  • Twenty Lessons On Tyranny: Der Historiker Timothy Snyder teilt in seinem Newsletter 20 Handlungsempfehlungen zum Widerstand gegen Tyrannei aus seinem gleichnamigen Buch (via hypertexthero). Punkt 18 passt erschreckend gut für die letzten Wochen:
Be calm when the unthinkable arrives. Modern tyranny is terror management. When the terrorist attack comes, remember that authoritarians exploit such events in order to consolidate power. The sudden disaster that requires the end of checks and balances, the dissolution of opposition parties, the suspension of freedom of expression, the right to a fair trial, and so on, is the oldest trick in the Hitlerian book. Do not fall for it.
  • UnLandmark (Video): Um auf »langweilige«, Detailarme und menschenfeindliche Architektur aufmerksam zu machen, hat der englische Architekt Thomas Heatherwick die Aktion Humanise ins Leben gerufen und macht mit der Kampagne »UnLandmark« darauf aufmerksam, indem berühmte englische Landmarken wie Buckingham Palace in seelenlose Corporate-Architektur verwandelt werden.
  • Nokia Design Archive: Die finnische Aalto-Universität hat ein interaktives Archiv mit gut 20 Jahren Industriedesign-Artefakten und Interviews von Nokia veröffentlicht. Eine Zeitreise in die Anfänge der mobilen Telekommunikation.
  • Design, wie es (nicht) sein sollte: Apropos Design: ARTE Tracks besucht Künstler:innen und Designer:innen, die Anti-Design machen: Sie entwickeln Produkte, die unpraktisch sind und uns dazu provozieren sollen, über unser (Konsum-)Verhalten nachzudenken.
  • Stimulation Clicker: Apropos Konsum-Verhalten: Click and get kicks! May crash your browser.


Musik zum Ausgang

Davey Perkins macht futuristische Illustrationen, irgendwo zwischen Manga, Cyberpunk und Mechs, und ich folge ihm wegen seines Stils schon seit einiger Zeit auf Instagram. Nun durfte er eine Sequenz für das Musik-Video zu AETERNA (A Film For The Future) von Coldplay beisteuern – und es ist wegen der melancholisch-romantischen Atmosphäre auch meine Lieblingssequenz in diesem Video, mit den vielen verschiedenen und unterschiedlich beeindruckenden Animationen von vielen verschiedenen Künstler:innen. Und deshalb landet der Song auch auf der Playlist zum Newsletter.


Nachwort

Ach, was für eine Welt … Über die ganzen schlechten Nachrichten derzeit nicht die Hoffnung zu verlieren ist nicht leicht. Wir sollten solidarisch miteinander sein und aufeinander achten. Ein Like kann schon eine Solidaritätsbekundung, eine nötige Aufmerksamkeit sein, und Self-Care Widerstand. Es hilft, sich an den kleinen Dingen zu erfreuen und daraus Kraft zu schöpfen – wie etwa aus Musik oder einem bescheuertem Meme. Holen wir uns die Zukunft zurück!


Beste Grüße

Arne




PS: Du brauchst noch ein Plakat für die nächste Demo? Schau mal bei Plakate für die DEMO!KRATIE vorbei – Gestaltung ist Haltung.

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