Wie ich mal eine Sekte gegründet habe... #4

Aug 10, 2022 10:06 pm

In meinem Basic Content Business-Newsletter geht es um angewandtes Content-Marketing von Selbstständigen (also mir) und das hilft vielleicht auch dir. Oder du bist neugierig, wie es so läuft: I am here fo you :*

Vor zwei Wochen habe ich es angeteasert, heute mache ich ernst. Ich erzähle einen Schwank aus meiner Jugend, der mit Community Building zu tun hat. Los geht’s:


Hallo ,

Im Jahr 2002 kam ich in die 9. Klasse, war verknallt in Heath Ledger und Ville Valo, trug lange, dünne Schlipse aus Leder und gründete eine Sekte.


Lasst dieses Bild erst Mal sacken.


In irgendeiner großen Pause alberte ich mit zwei Freunden herum: Ich war die große Führerin und die beiden Jungs waren meine Hohepriester. Es war ein Impro-Theater, wenn man so will, Method Acting bis zuletzt. Wir zogen es einfach durch, für insgesamt drei Wochen. Dann löste ich alles wieder auf. Das Ding schlug Wellen, die waren mir zu hoch und ich und Wasser NAJA andere Geschichte.


Trotz oder wegen dieser Aufmerksamkeit, die wir auf uns zogen, kamen immer mehr Kinder zu uns und wollten aufgenommen werden. Erst waren es Freundinnen, Klassenkameraden und die aus der 9b, irgendwann aber auch jüngere Kinder, die ich überhaupt nicht kannte. Ich fand mich plötzlich in einer Situation, in der mich fremde Kinder auf dem Schulhof mit „Meisterin“ ansprachen und mich Fünftklässler fragten, ob ich sie heute auch einsegnen würde. Mir war das zu viel, der Spaß hörte auf. So bin ich dann eben drei Wochen lang Sektenführerin mit zwei Hohepriestern gewesen, deren Credo „Sex, Drugs & Rock’n’roll“ gewesen ist. Wir hatten sogar ein Erkennungszeichen, ein Amulett.

 

Was war das Problem? Wir hätten doch wachsen können, irgendeine Agenda verfolgen können, was bewegen können.

Wahrscheinlich gibt es psychologische Erklärungen dafür und je nachdem, welcher Coach nun vor mir stünde, bekäme ich andere (von Bravo, du bist offenbar keine Narzisstin zu omg arbeite an deinem Mindset, so wird aus dir nie eine starke Führungskraft). Die Frage, die sich bei so etwas stellt ist: cui bono?

 

Die Antwort war: Ich. Der Einfluss auf andere gab mir Macht über sie. Die gesamte Veranstaltung hatte keinen anderen Sinn. Ich wusste nur nichts mit dieser Macht anzufangen.

 

Ohne Ziel entstanden aus dem Flow heraus völlig beliebige Rituale, wie unserem Initiations-Ritual, in dem neue Mitglieder in einen Kreis aufgenommen wurden. Wir tanzten um die Person herum, riefen „heilig, heilig, heilig“ und spuckten der Person vor die Füße.

 

I know.

 

Was passiert, wenn Leute mit ihrer Macht nichts anzufangen wissen und sie trotzdem nicht wieder hergeben wollen? Ich bin absolut keine Psychologin, aber mein first guess ist: die beginnen sie auszunutzen.


Hätte die Sekte einen Sinn gehabt, ein Ziel, das zu verfolgen sich gelohnt hätte, vielleicht wäre ich drangeblieben.

 

Erfolgreich eine Community aufzubauen kann total Spaß machen und schnell gehen. Oft klappt das so:

 

  1. Es gibt eine interessante Persönlichkeit, die überzeugend ist (aka Personal Branding)
  2. Damit dieses Personal Branding zieht, muss das Branding sitzen und die Person konsistent kommunizieren.
  3. Das übergeordnete Thema ist zweitrangig, von der Nische bis zum Allerweltsthema: alles ist möglich.
  4. Es gibt Wiedererkennungsmerkmale, die dem Zusammenhalt der Gruppe dienlich sind: Namen für die Followerschaft (die „little monsters“ von Lady Gaga sind so ein bekanntes Beispiel), aber auch bestimmtes Wording oder die Tonalität. Manche nutzen einfach ein Emoticon (🍟), manche geben sich selbst (z.B. hoheitliche) Namen.

 

Was fehlte meinem damaligen Ich für den Erfolg mit meiner wachsenden Community?

 

  • Das fehlende Ziel. Während das Thema vom Hundetrainer bis zur Permakulturexpertin egal ist, ist es nicht egal, wenn du in deinem Expert*innenbusiness gar nichts mit deiner Community anzufangen weißt.

 

Je nachdem, wie du dir dein Ziel setzt, bestimmst du bereits darüber, ob du deinen Follower*innen einen echten Nutzen bieten kannst, aufrichtig mit ihnen bist und transparent arbeitest. Oder ob du sie ausnutzt. Das Ziel bestimmt, wie du auf dem Grat wanderst. Aber lass uns nicht in schwarz und weiß denken: zwischen Manipulation und Altruismus gibt es ein paar Bergziegen, Gletscher und Alpenröschen, die unsere Wege kreuzen. Eine Community um eine Personal Brand herum aufzubauen ist per se nichts Egozentrisches und auch wenn mir in meinem Poesiealbum noch dazu geraten wurde, ein „Veilchen im Moose“ zu sein, ist es total in Ordnung, an der Front stehen zu wollen.

 

Nochmal: Das Ziel ist zentral.

Hier ein paar Möglichkeiten, was du mit einer starken Community erreichen kannst:

 

  • Du kannst mit der Hilfe von Vielen dich für eine Sache stark machen und eine Veränderung herbeiführen: Die Mehrwertsteuer von Tampons und Binden abschaffen z.B.
  • Als Sprachrohr einer Generation wirken und mit „denen da oben“ in direkte (!) Kommunikation treten.
  • Deine politisch völlig irrelevanten aber sehr schönen Ohrringe verkaufen.
  • Du kannst als Creator den Zugang zu deinen Inhalten monetarisieren, denn man lebt ja nicht vom Brot allein.
  • Du kannst dich an deinen Follower*innen bereichern, ihnen das Geld aus der Tasche ziehen und mit zwielichten Praktiken vermitteln, sie würden damit sich selbst und nicht dir helfen.

 

Mein Spaß daran, Menschen um mich herum zu versammeln und ihnen was zu erzählen war damals größer, als sie zu sinnlosen Handlungen zu überreden, mit denen ich nur meine Stellung behalten konnte.

 

Im Jahr 2002 war „Reichweite“ noch kein Wort, soziale Netzwerke waren in meiner Welt kein Thema – nicht mal Myspace war ein Ding. Was ich aber damals gelernt habe und was für heute gilt: Mit Reichweite kommt Verantwortung und eigentlich beginnt Verantwortung mit dem Setzen von Zielen.

 

Zum Weiterlesen (und hören)

  1.  Der Lebenszyklus eines Creators basiert auf seiner Community: von den ersten Berührungspunkten bis zu: ich verkauf dir meine Seele, hier ist mein Blut. Ganz elegant erklärt, wie Creator jede Phase der Beziehungen managen können, um ihr Business langfristig erfolgreich zu führen, steht in diesem Artikel von Hugo Amsellem. Spoiler: Jede Phase beginnt mit dem Setzen eines Ziels ;)
  2. Passend dazu in Fragen rund um die Creator Economy auch die Folge vom 3. August des Baby Got Business-Podcasts mit Ann-Kathrin Schmitz, die ich zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht gehört habe. Sie spricht mit Karo Kauer, die sich nicht allein auf Brand Deals verlässt, sondern ein Unternehmen aufgebaut hat, das sich offenbar sehen lassen kann – alles mit loyaler Community.
  3. Wholesomer Abschluss: Der sounds like a cult-Podcast, zum Beispiel:
  • The Cult of Instagram Therapists
  • The Cult of Tony Robbins
  • The Cult of MLM 🤷



Bis nächsten Donnerstag 👋

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