Bist du Content-Punk oder Marketing-Oma?

Sep 24, 2022 9:52 pm

Hey ,


in unserer Wohnung steht seit Jahren eine Karte im Regal. Es ist ein A5-formatiger Flyer für einen Fotoworkshop. Die Fotografie zeigt zwei Teenager, beide schreien offenbar, einer will dem anderen vielleicht ein Ohr abbeißen. Hinter ihnen laufen zwei Omas und beobachten sie belustigt.


Ich liebe dieses Bild.


Ich kann mich nie entscheiden, wer ich bin: schreiender Teenager oder belustigte Oma.


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(Das Motiv zeigt ein Foto von Christiane Eisler, "Ich trage ein Herz mit mir herum", 1983)


Es gibt noch ein anderes Bild in unserer Wohnung. Wieder eine Fotografie, ein Druck von einer Person, die kopfüber in einem See steht, man sieht nur die Beine herausstaken. Bei diesem Bild werde ich immer von Gästen gefragt, ob ich das sei.

(Nie im Leben! Ich würde nie im Leben so einen Schmu im Wasser machen, wo mir diese Brühe in die Nebenhöhlen schießt, wie unangenehm!)


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(Foto: ehrlich gesagt habe ich das Bild in einem Postershop gekauft, Fotograf*in unbekannt. Aber seht, wie die Katze die Gelegenheit genutzt hat, dieser kleine Halunke.)


Selbst- und Fremdwahrnehmung sind Dinge, in denen man sich bei der Content-Erstellung leicht verstricken kann. Wie denke ich, werde ich wahrgenommen und wie werde ich tatsächlich wahrgenommen korrespondieren nicht immer mit, wie ich wahrgenommen werden will und das wiederum ändert sich. Die Leute nehmen mich vielleicht wahr, als sei ich ganz souverän, dabei denke ich bei jedem Post, den ich absondere: Ok, das war jetzt Grundschulniveau. Oder ich denke, ich hab alles im Griff und sorge mich aber plötzlich doch, dass es gar nicht so wirkt und was sagt das über meine Selbsteinschätzung aus?


In den letzten zwei Wochen war ich die belustigte Oma.


Eine mit krankem Babymännlein, das nicht zur Kita darf. Ich habe mich in Beobachterposition begeben und nichts gepostet, nirgendwo. Einerseits habe ich mich nicht um Postings gekümmert, weil einfach *das Leben* dazwischengekommen ist. Andererseits habe ich mir aber auch nicht die Zeit genommen, weil mir die Inspiration, Motivation und der perfekte Contentplan gefehlt haben.


Ich habe festgestellt, dass ich meine Content-Pläne nicht mag, sobald sie fertig sind, sodass ich einfach nicht poste, was ich vorproduziert habe. Geht dir das auch manchmal so?


Meine bescheidene Theorie ist: Wahrscheinlich ist das gar nicht schlimm. Nicht jeder Mensch ist der Typ für einen picke-packe-vollen Content-Plan, der nur einmal im Monat gefüllt und dann einfach ordentlich ausgeführt wird. Ob automatisiert oder manuell. Denn was bringt die Quantität, wenn du dich mit deiner Qualität nicht zufrieden bist. Oder wenn du deine Identitätskrise zwischen Content-Punk und Marketing-Oma erstmal überwinden musst, bevor du wieder "da raus" willst.


Ich bastele noch an einem Content-Planungssystem, das diesen Anforderungen gerecht wird. Wenn ich eine Eichhörnchen-Gehirn-freundliche Lösung gefunden habe, die auch passt, wenn man sich in diesem Dreieck aus Familie, Arbeit und Sozialleben entscheiden muss. (Ja. Familie und Sozialleben sind zwei unterschiedliche Dinge, fight me.)


Was ich aber eigentlich sagen will: Es gibt diese Phasen mit wenig Energie und die sind normal. Ich finde, die Algorithmen können sich wirklich langsam mal an Mental Health-freundlichere Posting-Rhythmen orientieren. Da ja aber jeder Algorithmus auch auf die Nutzer*innen einer Plattform reagiert, sollten vielleicht alle aufhören p e r m a n e n t so unfassbar viel Kram zu posten. Einfach mal zwei Wochen nichts, einfach mal Me-Time. Normalise being offline as a Content-Marketer? Habe ich meinen Beruf verfehlt? Oder nur neue Ideen gesammelt, während ich die Wohnung umgeräumt habe und 24/7 Paige Wassel auf YouTube gebinget habe?


Schade, dass man auf die Weise nicht wächst oder das Anfragenpostfach überquillt, wenn einen nicht jeden Tag die Muse küsst.


Und sonst so:

Vannessa Lau hat gerade erst ein Video zum Thema gemacht, warum sie von Instagram abrät (als einzige Plattform).

„Instagram lost it‘s identity“, sagt sie unter anderem. Es sei nicht möglich, die Regelmäßigkeit an original content aufrechtzuerhalten, wenn man nicht andere Plattformen hat, die man zum repuposen seines Contents nutzen kann.


Sie ist nicht die einzige Social-Media-Coaching-Person, die zurzeit dieses Lied singt. Zumindest im Englisch-sprachigen. (Nenne mir doch mal ein paar Deutsche, die bisher nur Insta-Beratung gemacht haben und mittlerweile vorm Burnout warnen.)


Ich übernehme das mal, bescheidener Weise: Brenne nicht aus wegen einer Plattform, die ihre Identität verloren hat. Und bleib stabil, egal was du gerade tust. So wie ich gerade: Einfach keine Zeit, deswegen kommt dieser Newsletter auch an keinem Donnerstag, obwohl ich ihn tatsächlich an einem Mittwoch geschrieben habe. Ich bleib stabil am Ball und bleib flexibel, denn das Runde muss ins Eckige – nächste Frage: Wird dieses Jahr auf dem Weihnachtsmarkt Fußball übertragen? Dann werden meine Kinder auch dieses Jahr nicht erfahren, was ein Weihnachtsmarkt ist.


Das war eine ForYou-Page in einem Absatz. Jetzt kein TikTok mehr vorm Schlafengehen. You’re welcome.


👋 Bis nächsten Donnerstag (vielleicht)


Miriam

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