🪲 Fühler ausstrecken im Juni
Jun 15, 2025 4:41 pm
Grüezi,
um das mal zu erwähnen: Ich kann keine Dialekte nachahmen (und krieg Augenzucken, wenn jemand offensichtlich versucht zu berlinern).
Jedenfalls, vergangenes Wochenende war ich wandern, in den Schweizer Alpen. In Appenzell, wie ich vor Ort dann festgestellt habe, unterhalb des Säntis. Nur ein Wochenende lang und trotzdem ein ziemliches Abenteuer: Zum ersten Mal bin ich eine Hüttentour gelaufen, also mit allem Gepäck auf den Schultern von Berghaus zu Berghaus, zwei Nächte, bevor es wieder hinab ins Tal ging. Wir sind bei Sonne auf 870m gestartet, dann schlug das Wetter um in strömenden Regen, während wir an der Bergflanke entlangkraxelten. Kurz vor der ersten Hütte donnerte es dann auch noch. Hallelujah! Gewitter im Gebirge, da bin ich raus. Am zweiten Tag war es dann immerhin nur noch verhangen, dafür null Grad kalt, als wir die zweite Hütte auf 2120m erreichten. Am dritten Tag, auf dem Rückweg, schien dann endlich und ständig die Sonne.
Es war kalt, nass und windig. Und es war wunderschön. Am zweiten Abend und am Morgen zogen Steinböcke an unserer Hütte vorbei. Bergpieper begleiteten uns mit ihrem Fiepen den Wegen, unterbrochen vom durchdringenden Pfiff eines Murmeltiers. Ein Meer von bunten Blüten erstreckte sich über die Alpwiesen, dazwischen Knabenkraut, Enzian und Sumpfdotterblumen, die an den Ufern der frisch gebildeten Gebirgsgumpen standen.
Mein Highlight war dann noch dieses Tierchen, das gleich mehrfach im Geröll herumkrabbelte: kein Käfer, keine Raupe oder Larve, sondern ausgewachsene Weibchen des Alpenspanners. Ein Nachtfalter, dessen Männchen mit gräulich-weißen Flügeln daherkommen, während die Weibchen alles andere als flugfähig sind und komplett anders aussehen. Anstelle ihrer Flügel tragen sie puschelige weiße Stummel und ihre gelb-schwarzen Streifen sollen sie wohl vor Fressfeinden schützen. Natur ey! So verrückt, immer wieder!
Meine Empfehlungen in diesem Monat
Mir ist dieses üppige Grün da draußen immer noch ungewohnt. Ehrlich, in dieser Jahreszeit kommt es mir manchmal vor, als würde man mal einen Moment nicht hinschauen – und plötzlich ist die Balkontomate zehn Zentimeter in alle Richtungen geschossen. Deshalb und weil mir beim Rezensieren von Büchern für P.M. in den vergangenen Wochen mehrmals tolle Pflanzentitel untergekommen sind, hier meine Highlights...
📚 Die Lichtwandler (Zoë Schlanger)
Wie Pflanzen funktionieren und was sie so machen, wurde schon oft beschrieben. Zoë Schlangers Blick verdient dennoch besondere Beachtung: Ausgeruht und mit einem wunderbaren Gespür fürs Erzählen über Wissenschaft schildert die Journalistin aktuelle und historische Forschung quer durch die Botanik. Für mich eines dieser Bücher, die man sich als Autorin zur Inspiration griffbereit ins Regal stellt, weil sie so fantastisch geschrieben sind.
📚 Fatale Flora (Noemi Harnickell)
Die Pflanzen im englischen Alnwick Garden haben alle eine Gemeinsamkeit: Sie sind für Menschen tödlich. Die Journalistin Noemi Harnickell hat das Anwesen besucht und nimmt uns mit auf eine buchlange Führung. Kapitelweise porträtiert sie die giftigen Gewächse und erzählt, wo und wie sie bereits zum Einsatz gekommen sind – in der Realität, bei Agatha Christie oder bei Harry Potter. Pflanzen-True-Crime at its finest!
📚 Die Superkraft der Pflanzen (Kathy Willis)
Hier geht es nicht um Esoterik und gefühltes Wissen, sondern um echte Forschung. Kathy Willis ist Professorin für Biodiversität an der Universität von Oxford und hat sich auf die Suche nach der Antwort gemacht, warum Pflanzen uns gut tun (es sei denn, sie sind tödlich giftig, s.o.). Dabei geht es nicht nur um psychische, sondern auch um physiologische Effekte: Das Berühren von unbehandeltem Holz etwa senkt den Blutdruck, und Pinene, die Duftmoleküle des Kieferngeruchs, geraten beim Einatmen in den Blutkreislauf, lassen das Herz langsamer schlagen und machen dadurch entspannter. Über all das schreibt Willis, als würde man selbst mit ihr durch einen Park spazieren. Und sie gibt Tipps, wie man von den Kräften der Pflanzen profitieren kann – zum Beispiel schon, indem man sich einfach eine Topfpflanze auf den Schreibtisch stellt.
Eigentlich wollte ich den sozialen Medien ja abschwören, aber einer der Gründe, weshalb ich dort immer noch rumhänge wie ein dürres Stück Obst am Baum, ist der Influencer/Plantfluencer/Wutfluencer Robinga Schnögelrögel. Der liebt und hasst, was kreucht und fleucht, und das mit voller Leidenschaft. Bei ihm erfährt man, warum grün nicht automatisch toll ist und wie wunderbar noch das unscheinbarste Pflänzchen sein kann (und dabei spricht er ooch noch wie icke, ooch son Bonus – um nochmal auf das Ding mit den Dialekten zurückzukommen...). Nun hat ihn die ebenfalls großartige Journalistin Eva Schulz in ihren Podcast Deutschland3000 eingeladen und ich fand die Folge ganz, ganz wunderbar. Falls ihr Garten, Balkon oder Fensterbank habt oder euch einfach so dafür interessiert, was da draußen in der Natur gerade passiert: Ab zur ARD-Audiothek (oder zu eurer Lieblings-Podcastplattform).
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Und nochmal Podcast: Auch im vergangenen Monat haben Ingo und ich wieder eine Folge von "Optisch Definiert" aufgenommen, dem Podcast übers Comics machen. Diesmal haben wir mit der fantastischen Barbara Yelin gesprochen, die als Autorin und Zeichnerin unter anderem "Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung" veröffentlicht hat. Darin spürt sie der Geschichte der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel nach. Barbara erzählt von den Begegnungen mit ihrer Protagonistin und davon, wie man fremde Erinnerungen zu Papier zu bringt. Und sie erzählt, wieso sie erst spät Farben für sich entdeckt hat. Hier und auf allen gängigen Podcast-Plattformen kann man die Folge hören.
Das war es für diesmal! Wir lesen uns im Juli wieder, nach der Sonnenwende (wie die Zeit rennt! 😱!). Hab schon mal einen schönen Sommer bis dahin!
Alles liebe,
Caro