🐞 Fühler ausstrecken im November
Nov 04, 2025 11:39 am
Hallo!
Wow, es ist jede Menge Zeit vergangen seit meinem letzten Newsletter.* Plötzlich haben wir November! Der Sommer ist gegangen, der Herbst ist gekommen, ich bin 40 geworden, war an der Ostsee und im Rheingau, habe einen ganzen Zeichenblock mit Aktmodellen gefüllt und einen neuen Job angefangen.
Letzteres ist der Hauptgrund für diese lange Pause. Noch bis Dezember beschäftigt mich nämlich am Berliner Naturkundemuseum ein Thema, das ich in meinen früheren Jobs an dem Haus höchstens durch seinen schweren, ranzigen Geruch nach Leder, Haut und Haaren in den Sammlungsgängen wahrgenommen habe. Es geht um alte Felle, siehe oben. Problemfelle, wenn man so will: Ich bin in einem Projekt beschäftigt, das sich um den Erhalt von historischen Säugetierfellen kümmert, die durch Zerfall bedroht sind. Mit den Fellen direkt hab ich dabei aber kaum zu tun. Meine Aufgabe ist, aus den bereits vorhandenen Forschungsergebnissen und noch geplanten Versuchen ein Handbuch zur Fellkonservierung zu strukturieren. Noch ein Buch! An meinem eigenen Buchprojekt schraube ich derweil natürlich auch weiter...
Meine Empfehlungen in diesem Monat
📚 Was wir wissen können (Ian McEwan)
Thomas Metcalfe ist Literaturwissenschaftler im Jahr 2119. Er beschäftigt sich mit Francis Blundy, einem Dichter, der 2014 für seine Frau ein Gedicht geschrieben hat, das grandios gewesen sein soll – und verschollen ist. Metcalfe rekonstruiert sämtliche Gegebenheiten aus dieser Zeit, er macht sich Vorstellungen von Charakteren und Verhältnissen. Bis er in zur Hälfte des Buchs eine Entdeckung macht, die all seine Annahmen in ein völlig neues Licht rücken. Mich hat das zum Nachdenken darüber gebracht, wie stimmig meine Annahmen über reale Personen aus der Vergangenheit überhaupt sein können. Genauso packend fand ich Metcalfes Gedanken aus seiner Zeit über die Vergangenheit, unsere Zeit. Denn McEwan schildert seine Perspektive aus einer als Welt, die sich durch die Klimakatastrophe komplett verändert hat.
📚 Unter weitem Himmel (Berit Glanz)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bricht junge bretonische Fischer Olier mit seiner Flotte Richtung Island auf, um dort vor der Küste Dorsche zu angeln. Durch unglückliche Umstände begegnet er der jungen Sólrun, die in einem isländischen Krankenhaus arbeitet. 100 Jahre später soll die deutsche Genetikerin Maris in Island eine Schaf-Chimäre untersuchen und trifft dabei auf den Polen Adam, der auf dem Hof arbeitet. Olier und Sólrun nähern sich an, Maris und Adam nähern sich an, und über ihnen hängt die Frage, wie das Schicksal einen zu der Person macht, die man ist. Den Zauber der Geschichte machen aber auch Berit Glanz' fein recherchierte Szenerien aus, ihre Schilderungen von Island und dem harten Leben auf See. Mich hat das tief eintauchen lassen.
Weil so viel Zeit vergangen ist, gibt es mittlerweile sogar gleich zwei neue Folgen unseres Comic-Podcasts Optisch Definiert! Wir hatten Ines Korth zu Gast: Sie zeichnet nicht nur, sondern ist auch eine "unknown stuntwoman". Als Koloristin hat sie zahlreichen Werken anderer Comicschaffender Farbe verliehen. Sie erzählt, wie sie sich dabei in die Werke anderer hineinversetzt und auch, wie sie einen großen Stilwechsel vollzogen hat: Lange zeichnete sie nämlich Manga – bis sie feststellte, dass sie sich damit selbst blockiert.
Und wir haben mit Jörg Hartmann gesprochen, der durch seine Comic-Umsetzung der Krimiserie "Wilsberg" zum Münsteraner Lokalkolorit zählt. Jörg führt seine eigene kleine Galerie in der Stadt, wo er arbeitet und seine Werke verkauft. Er hat uns erzählt, wie es dazu gekommen ist, und wie er heute dort Besuch aus aller Welt empfängt. So kam es auch zu seinem aktuellen Werk "Liberty", das die New Yorker Freiheitsstatue behandelt und ihn auf eben jene geführt hat, und mit dem er international Erfolge feiert.
Noch mehr auf die Ohren gibts von meiner besseren (Podcast-)Hälfte Ingo: Der war in den vergangenen Wochen gleich zweimal zu langen Radiogesprächen geladen. Im hr2 hat er sich bei Doppelkopf und bei radio3 in Das Gespräch über Metropolia, Malcolm Max und KI ausgelassen.
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Falls du in Berlin bist und am Mittwoch abends noch nichts vorhast, dann ein wärmster Veranstaltungstipp: Komm zur Amerika-Gedenkbibliothek! Ab 18.30 Uhr präsentiert hier Tine Steen ihren Comic "Die kochenden Affen" und es wird definitiv großartig! Tine hat sich mit der Frage beschäftigt, was zuerst da war: die Menschen oder das Kochen? Sie geht mit dem Thema total spielerisch um und gleichzeitig hat ihr Comic wissenschaftlich ordentlich Tiefgang. Ich darf den Abend moderieren.
Was in den vergangenen Monaten auch passiert ist: In meiner Nachbarschaft ist ein Baum verschwunden. Es ist nur ein Baum, aber er war so prächtig, dass in jedem Lexikon unter "Baum" sein Bild hätte stehen können: groß wie ein Haus, kugelige Krone, dichtes Laub, eine Schaukel an einem der unteren Äste. Bei einem der heftigen Sommerstürme hat es seine Krone zerrissen, ein paar Tage später lag er zerstückelt auf dem Grundstück. Mich sticht es immer noch, die Stelle zu sehen, wo jetzt sein leuchtend gelbes Laub liegen sollte. Traurig! Ein kleiner Trost ist immerhin jene Nachricht, die heute verkündet wurde: Bis 2040 soll Berlin 700.000 neue Bäume bekommen. Das Gesetz wurde heute vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen. Ein toller Schritt in eine gute Richtung!
Wir lesen uns im Dezember wieder!
Mach's gut bis dahin und bleib gesund,
Caro
* außer für die von euch, die diesen Newsletter wegen eines kleinen technischen Problems doppelt bekommen. Sorry!