untitled-Newsletter 07
Sep 01, 2024 12:00 pm
Hallo werte Leserschaft,
nach ein paar erholsamen Tagen in Hamburg sammele ich nun wieder meine Gedanken, Links und Likes aus dem August für euch.
Falls Du interessante oder passende Tipps oder Links für mich hast, lass’ es mich wissen und antworte einfach auf diese E-Mail.
Fragmente
Das Internet Of Cowsist ein Ding und klingt erst einmal lustiger, als es ist: Es ist eine Spielart des Internet Of Things (IoT) bei dem vor allem Kühe mit Sensoren ausgestattet und vernetzt werden. Die Versprechen, die mit dieser Technologie gemacht werden, sind wie immer groß: Bessere Übersicht, einfacheres Management, Früherkennung von Krankheiten, bis hin zur Hybris der Bekämpfung des Welthungers. Die Probleme, die mit dieser Technologie einhergehen, sind die gleichen, wie bei anderen IoT-Spielarten: IT-Sicherheit, Datenschutz, ungewollte Überwachungseffekte durch Sensoren, Elektroschrott, etc. Insbesondere die ersten drei Probleme, sind die, die mir bei der Silicon-Valley-Mentalität von »Move fast, break things« am Meisten Sorgen bereiten, denn der ganze Bereich IT-Sicherheit ist schwierig zu meistern und sehr stark abhängig von solider Vorarbeit des Hard- und Software-Produzenten sowie ständiger Updates. Dass ein leichtfertiger Umgang mit dieser Technologie ein gefährliches Problem ist, das sogar für die Tiere tödlich enden kann, zeigt nun ein Fall aus der Schweiz: Durch Ransomware wurde einem Bauern der Computer lahmgelegt über den u. a. die Vital-Daten der Melkmaschine ausgelesen wurden. Ransomeware ist eine Schad-Software, die die Daten eines Computer verschlüsselt und für die Entschlüsselung ein Lösegeld (eng. Ransom) fordert. Da die Melkmaschine auch ohne den Computer funktionierte, fiel zu spät auf, dass das Kalb einer trächtigen Kuh im Mutterleib verendete, sodass schließlich sogar die Kuh eingeschläfert werden musste.
Das IT-Sicherheits-Newsportal CSO leitet seinen Artikel dazu mit dem Satz ein: »Auch als kleiner Landwirt ist man vor Cyberangriffen nicht gefeit.« Ich halte das Gegenteil für richtig: KMU mögen zwar für Ransomware weniger attraktiv sein – sofern sich das überhaupt so pauschalisieren lässt –, aber es gibt genügend andere Angriffsszenarien: Identitätsdiebstahl, Industriespionage, Zombie-Geräte für Cyber-Angriffe usw. usf. Während große Firmen eigene IT-Abteilungen haben, die sich um die Wartung der Geräte kümmert und auch finanziell Zugriff auf entsprechende Sicherheits-Hardware und -Software haben, sind KMU in der Regel auf das eigene Know-How, wenig Zeit und Heimanwender-Geräte angewiesen. heise Security ergänzt entsprechend ihren Artikel dazu mit einem Hinweis auf das Problem der IT-Sicherheit als Grund für die langsame Digitialisierung im Agrar-Sektor. Eine einfache Lösung gibt es dafür nicht und solange IT-Sicherheit, insbesondere bei IoT, nicht auf allen Ebenen eine Priorität vor dem Profit ist, werden uns solche Meldungen weiterhin begleiten – auch beim Internet Of Cows.
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Die aktuelle Ausgabe des österreichischen Magazins dérive – Zeitschrift für Stadtforschung widmet sich dem Thema der extremen Rechten im Stadtraum. Aus der Ausgabe möchte ich zwei Artikel empfehlen, die mittlerweile auch kostenlos online zu lesen sind:
Der erste Artikel, »Strategien der Normalisierung des Rechtsextremismus«, der auch im Heft der erste ist, gibt einen sehr guten Überblick darüber, was die sogenannte »Neue Rechte« ist, wo sie herkommt und wie sie arbeitet. Wenn ihr nur einen Artikel aus meinem Newsletter lest, dann bitte diesen, denn er fasst sehr gut zusammen, was ich mir über die Jahre an verschiedenen Stellen über die »Neue Rechte« angelesen habe:
Casa Pound stellt gewissermaßen das internationale Role Model der rechtsextremen Aneignung vormals linker Praxisformen dar und zwar insofern, als man sich als eine gegenhegemoniale Bewegung darstellt, die Systemkritik, Antikonformismus und Antikapitalismus mit Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Revisionismus vereint.
Und:
Wenn Rechtsextremismus zum Hausverstand, zur Normalität erklärt wird und die FPÖ stolz verkündet, den ›Kampf gegen das System längst aufgenommen zu haben‹ […], ist es Zeit, diese Selbstausgrenzung ernst zu nehmen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Ansinnen dieses Schwerpunkts ist es, dieser Notwendigkeit Nachdruck zu verleihen, indem wir [aufzeigen], in welch vielfältiger Art und Weise die extreme Rechte Anstrengungen unternimmt, die urbane Gesellschaft zurückzudrängen und zu zerstören.
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Im zweiten Artikel, den ich euch aus der dérive empfehlen möchte, »Die Einstecktuchisierung verrohter Bürgerlichkeit«, widmet sich Stephan Trüby vertiefend dem Einfluss von Rechtsradikalen auf Architektur und Stadtgestaltung: Anhand der beiden Beispiele der Potsdamer Garnisonkirche und der Frankfurter Altstadt zeigt Trüby auf, welche Initiativen und Personen, mit Verstrickungen ins rechtsextreme Milieu, versuchen – in diesen Fällen offensichtlich erfolgreich – die Geschichte umzuschreiben indem historische Gebäude mit schwieriger Geschichte rekonstruiert werden bzw. eine Geschichte konstruiert wird, die es so gar nicht gab, um so die Zeit und Wunden des Nationalsozialismus zu relativieren oder gänzlich zu übertünchen:
Auch in anderen deutschen Städten verbergen sich hinter der einen oder anderen glänzenden Architekturoberfläche neu errichteter oder noch neu zu errichtender Geschichtsbilder ausgebuffte Machenschaften von Rechtsradikalen, die mithilfe eines scheinbar nur-ästhetischen Diskurses zunehmend politische Terraingewinne im lokalstolzen, aber teils eben auch politisch naiven Kulturbürgertum verbuchen können.
Das Rechtsradikale auch die Architektur und Stadtentwicklung für sich vereinnahmen, hatte ich bis dato so nicht auf dem Schirm, sollte aber nicht verwundern, angesichts der guten internationalen Vernetzung der »Neuen Rechten«, ihrer Fähigkeit mediale Druckwellen zu erzeugen und der Breite ihrer gesellschaftlichen Präsenz.
Interessant finde ich auch, wie gut sich der Artikel von Trüby an einen anderen Artikel anschließt, den mir mein Freund Felix vor einigen Wochen empfahl: »Der neue Architekturstreit« von Owen Hatherley (leider auf deutsch hinter einer Paywall, im englischen Original kostenlos bei AEON): Grob vereinfacht gesagt, ist es angesichts der Klimakrise egal, ob wir im modernen oder im klassizistischen Stil bauen und dieser Architekturstreit lenkt vom eigentlichen Problem ab: Wir müssen sinnvoll, nachhaltig und umweltschonend bauen, egal in welchem Stil. Der von Rechtsradikalen immer wieder beschworene »Kulturkampf« mit der Ablehnung der Moderne gliedert sich perfekt in diesen Architekturstreit ein. Das der Klassizismus ästhetische Qualitäten hat steht außer Frage, jedoch müssen wir aufpassen uns hier nicht in einen Diskurs von rechts vereinnahmen zu lassen.
Wie gut sich historische und moderne Architektur ergänzen und wie gut moderne Architektur mit Sinn für ihren Kontext aussehen kann, kann man gut in Hamburg sehen. Auch die gänzlich neuen Quartiere Hafencity und Überseequartier sind ästhetisch, fügen sich ein und wirken nicht deplaziert, sind aber dennoch modern.
Splitter
- Wie Rechte reden ist ein Newsletter über rechte Rhetorik und Narrative – sehr zu empfehlen. In der Wochendämmerung sprechen die beiden Autoren über ihre Arbeit und wie wir rechter Rhetorik entgegen treten können.
- In der taz gibt Arne Semsrott konkrete Tipps zum Widerstand, falls die AfD an die Macht kommen sollte, der Wermutstropfen ist jedoch: »Es gibt nicht die drei Schritte, die man nur machen muss, und dann ist die Demokratie gerettet. Es sieht ziemlich bitter aus gerade. Aber es hilft nicht, sich immer nur ohnmächtig die Apokalypse vor Augen zu halten. Man muss auch an die Postapokalpyse denken. Es gilt, nicht in Schockstarre zu verfallen, sondern zu einer Handlungsfähigkeit zu kommen. Mein Buch ist kein optimistischer Appell, aber es ist dennoch wichtig, in eine Verbindung zueinander zu kommen, um zu sehen, wie viele wir sind.«
- Auf Social Media schwingt das Konsum-Pendel wieder in die andere Richtung und setzt dem Hyperkonsum von Temu, Shein etc. einen neuen Trend entgegen: Der Underconsumption Core.
- Jenni hat ein neues Format gestartet: Den (Video-)Podcast Business Gebubble, indem sie Bubble-Tea kocht und über Selbstständigkeit spricht.
- Public Work ist ein Datenbank für gemeinfreie (Public Domain) Bilder, die durch ihre Mischung aus Pinterest mit einem Endlos-Canvas zum Stöbern und Entdecken einlädt.
Musik zum Ausgang
Manchmal stolpere ich über ein Stück Musik und es trifft genau meinen Vibe und landet in meiner Hot Rotation: Vanisher von CABLE (Bandcamp, Spotify) war Anfang diesen Monats genau das. Der dunkle Synthwave-Sound erinnert mich stark an den Hotline-Miami-Soundtrack und die Stücke von M.O.O.N (allen voran Paris) – und landet deshalb auch auf der Spotify-Playlist.
Nachwort
Der Newsletter war, wie meine Lektüre im letzten Monat, stark von der politischen Lage geprägt und wie viele erwarte ich mit bangem Hoffen den Ausgang der heutigen Landtagswahl in Thüringen und Sachsen. Es sind schwierige Zeiten und ich wünschte, ich könnte mich mehr anderen Themen widmen, aber ich kann es nicht ausblenden, dafür ist unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu wichtig.
Um aber nicht auf dieser betrübten Note zu enden, noch etwas leichtes zum Ausgang: »There’s a trend on Chinese social media where they imitate AI videos and it’s beautiful«.
Beste Grüße